Von oben herab: Ausschaffhausen

Nr. 31 –

Stefan Gärtner über die neue Boulevardhauptstadt der Schweiz

«Die Stabilität des Schweizer Systems» beruht laut Hannah Arendt «auf der Tradition kommunaler Selbstverwaltung, wie wir sie nirgendwo sonst kennen» und die aber auch gern mal zurücksteht, wenn es ums grosse Ganze geht. Oder wenn sie gar nicht erst gefragt wird, wie beim sogenannten Schaffhausen-Gesetz, das laut Bundesrat «die lokale Konzentration schlagzeilentauglicher, schweizschädlicher Ereignisse aus den Bereichen Gewalt, Sex und Islam» am nördlichen Hochrhein vorsieht.

«Es ist doch besser, der ganze Quatsch passiert isoliert an der Grenze als mitten drin in unserem schönen Land», erläutert Regierungssprecher Ruedi Widmer, der seinen richtigen Namen (Rudolf) nicht in der Zeitung lesen will. «Idealerweise sogar in einer Stadt, von der behauptet wird, es gebe sie gar nicht. Schaffhausen? Eine Illusion. Wussten Sie das nicht?» Und deshalb sind so gut wie sämtliche einschlägigen Grossprobleme aus der Schweiz verschwunden und finden nun in und bei Schaffhausen statt. Also praktisch schon in Deutschland. Oder eben gar nicht!

«Teenager belästigt Mädchen, droht Lehrer abzustechen und schaut IS-Videos», berichtet der «Blick» über den «gefährlichsten Schüler von Schaffhausen», die «Weltwoche» weiss: «Muslimische Schüler verbreiten in Schaffhausen Angst und Schrecken. Lehrern wurde mit dem Tod gedroht, Mädchen ins Gesicht gespuckt. Die Behörden versuchen, die Fälle zu vertuschen», und wiederum der «Blick» freut sich über die «Lügen-Wende in der Asyl-Sex-Affäre von Stetten SH» – Mäkler mögen finden, das seien vielleicht etwas viele Probleme mit übersexualisierten, renitenten Fremdvölkischen an einem Ort; Freunde des neuen Gesetzes wissen aber, dass es in der übrigen Schweiz zuletzt nur einen einzigen Fall von verweigertem Handschlag aus Gründen der «Ehre» gegeben habe, aber da sei er Roger («Whittaker») Köppel verweigert worden, was ja wohl in Ordnung gehe.

So trieb der «Motorsägen-Mann mit Armbrust» bzw. «Eigenbrötler, Waldmensch und Griechenland-Fan» («Blick») nur im Nordosten sein Unwesen, und der IS-Helfer, dessen Ausschaffung so schlimm verunglückt ist («Türkei schickt IS-Helfer zurück in die Schweiz», «Tages-Anzeiger»), musste den Dschihad von Schaffhausen aus planen. Regierungssprecher Widmer, der seinen privaten Wohnsitz in Winterthur hat, will nicht zitiert werden: «Von Schaffhausen aus den heiligen Krieg zu planen, das kann man halt nicht ernst nehmen. Das ist ja, als würde sich in Braunau wer die Weltherrschaft ausmalen! Wo ist denn dieses Schaffhausen überhaupt?»

Entgegen allgemeinen Befürchtungen hat sich das Leben im Kanton und in seiner Hauptstadt, die zuvor bloss als «Reinfall am Rheinfall» (Zoë Jenny) bekannt gewesen war, merklich verbessert. «Wir finden endlich statt», freut sich Stadtpräsident Peter Neukomm (SP). «Wir waren schon so verzweifelt, dass wir einen Sack Reis vors Rathaus gestellt haben. Aber nicht einmal der wollte umfallen. Nicht einmal im Sommerloch!» Naturgemäss haben bereits Diskussionen begonnen, die Liste der Probleme, die nach Schaffhausen ausgeschafft werden könnten, zu verlängern, etwa um Drogen, Tierquälerei und Waffenhandel. Neukomm sieht es mit gemischten Gefühlen: «Waffenhandel ist in der Schweiz ja leider kein Problem, da können wir lange auf den nächsten Motorsägen-Mann warten, der mit dem Radpanzer ‹einkauft›. Aber mit ein paar Drogen wird es bei uns am Ende noch richtig schön.»

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.