Von oben herab: Gärn gscheh

Nr. 35 –

Stefan Gärtner über die «Balkanisierung» der Bäume

Ein Plan für die nähere Zukunft wäre, die paranoid-antikorrekten, vollidiotischen Beiträge aus den elektronischen Publikumsforen der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» zu montieren und unkommentiert (und -redigiert) einmal so stehen zu lassen: «Da wird ein Volk permanent mit dem Mantra der Klimaerwaermung und Umweltpolitik traktiert. Politisch korrekte Botschaften und Meinungen werden unters Volk gemischt und es entsteht der Eindruck alle Deutschen werden ab sofort auf Elektrofahrrad umsteigen und dann das …», feixte neulich ein H. Sulzmann unter einem Artikel, der, durchaus beifällig, den Siegeszug der SUVs beschrieb. «Vielleicht hat dieses Volk doch noch einen Rest an eigener Meinung und Widerstandskraft. Es laesst hoffen.»

Oder eben, halten zu Gnaden, nicht; bzw. müssen wir, die wir auf der Suche nach Hoffnung sind, wiederum in die Schweiz blicken, wo «Bund»-Leser Niklaus Huber auf den Bericht über die «Balkanisierung Berns», den klimawandelbedingten Austausch der Stadtbäume betreffend, entgegnen musste: «Wenn es nur die Bäume wären, ginge es ja noch …» Da in der Schweiz weniger Menschen leben als in Deutschland, gibt es (in absoluten Zahlen) auch weniger Tubel, und also blieb es bei dieser einsamen Spitzenmeinung und acht «Empfehlungen». Das reicht mir leidgeprüftem deutschem Leser («ob zu warm oder zu kalt, ob zu nass oder zu trocken. Es findet sich immer ein Pseudowissenschaftler, der das mit dem Klimawandel erklären möchte. Im übrigen ist auch klar aus den Daten der Ablösesummen der Fussballer ersichtlich, je mehr CO2, um so grösser die Summen, die man für Spieler bezahlt. Klarer Fall von Klimawandel!», «FAZ.net»-Leser T. Dreyer, 14. August) als Zeichen der Hoffnung. Als kleines Zeichen einer sehr kleinen Hoffnung, aber so sind nun mal die Zeiten.

In Bern jedenfalls überlegen sie, wie sie in Zukunft mit den längeren Trocken- und Hitzeperioden zurechtkommen wollen, die die üblichen Stadtbaumarten wie Rosskastanie, Bergahorn und Sommerlinde mit einiger Sicherheit überfordern werden, und wenn sie einmal verschwunden sind – «Ob an der Bundesgasse, beim Rosengarten oder beim Hirschengraben: Überall in der Stadt Bern kränkeln die Bäume. Es sind traurige Bilder. Die Blätter färben sich gelblich, rollen sich zusammen und fallen ab» («Bund») –, dann soll jener Teil der Bevölkerung, der nicht seinen eigenen Riesenschatten spazieren führt, wenigstens unter anderen, hitzefesteren Baumsorten Kühlung finden können, wie sie sich etwa auf dem Balkan finden lassen. Dass die dann auch ästhetisch nicht zu viel verlangen, selbst darum sorgen sich Fachleute wie die Berner Waldökologin, die dem «Bund» Auskunft gegeben hat: «Allerdings legt Kuhn Wert darauf, dass die neuen Bäume ins Stadtbild passen. Zypressen, wie sie im Balkan häufig anzutreffen sind, werden also kaum die Alleen der Zukunft bestücken. ‹In Parkanlagen kann ich mir die eine oder andere Zypresse aber durchaus vorstellen.›»

Es wird also sogar noch für die Identitätsverrückten Sorge getragen, derenthalben man den ganzen Quatsch mit der Erderwärmung doch eigentlich ad acta legen kann, und dass sich Wissenschaftlerinnen, Ingenieure, Ökologinnen, Kolumnisten Tag für Tag (sogar im Urlaub!) krummlegen, damit auch die Knallköpfe in Zukunft noch Luft bekommen, die heute das Maul aufreissen, darf, wer möchte, unter Ironie verbuchen. Wenn nicht gar unter Barmherzigkeit.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.