Kino-Film «Das Kongo Tribunal»: Prozess statt Pranger

Nr. 32 –

Milo Raus Dokfilm «Das Kongo Tribunal» zeigt, wie durch inszenierte Prozesse mit realen AkteurInnen ungeahnte Wirklichkeitseffekte gezündet werden.

Wo staatliche Institutionen versagen, kann ein Theatergericht Klarheit schaffen: Das Gerichtsgebäude von Bukavu (Ostkongo) im Film «Das Kongo Tribunal». Still: Vilca Film

Als Neunzehnjähriger reist Milo Rau zu den ZapatistInnen, die im mexikanischen Urwald für die Rechte der Landbevölkerung kämpfen. Nach Jahren fiebriger Lektüren von Karl Marx bis Ernst Jünger interessiert ihn – damals wie heute – die Verschränkung von Politik und Ästhetik: die Poesie des konkreten Kampfs, das Theater als politische Praxis. Knapp zwanzig Jahre und eine Karriere als Theaterrevolutionär und theoriestarker Essayist später packte Rau 2015 in der Demokratischen Republik Kongo sein bis jetzt ambitioniertestes Projekt an: «Das Kongo Tribunal». Das zentralafrikanische Land wird seit Jahren von einem der grössten Wirtschaftskriege der Menschheitsgeschichte zerrissen: Rohstoffschlachten um kostbare Hightechmetalle für Smartphones und Laptops, getarnt als primitive Stammesfehden, um von den eigentlich Schuldigen, der Regierung und internationalen Firmen, abzulenken. Man schätzt die Zahl der Toten mittlerweile auf mehr als sechs Millionen.

Diese global vernetzte Wirrnis im oft rechtsfreien Raum mit einem künstlichen Schauprozess zurechtrücken zu wollen, grenzt an Grössenwahn. Rau orientiert sich am 1966 von den beiden Philosophen Bertrand Russell und Jean-Paul Sartre veranstalteten Vietnamkriegsverbrechentribunal. Seine Methode hat Rau über die Jahre in verschiedenen Theaterprozessen und Reenactments entwickelt. «Das Kongo Tribunal» addiert sich zur Summe seiner bisherigen Arbeiten und theoretischen Analysen.

Eigene Unfähigkeit vorführen

Was nun vorliegt und am Filmfestival von Locarno Europapremiere feiert, ist ein knapper, etwas fragmentarischer Dokumentarfilm, der die beiden Hearings zusammenführt, die Rau 2015 mit seinem Team zuerst im Osten Kongos und später in Berlin inszenierte. Seine Uraufführung hatte der Film gerade eben am Ort des Geschehens selbst, in übervollen Vorführsälen. Vor diesen Kongopremieren sei er sehr nervös gewesen, sagt Milo Rau, der in Locarno sehr entspannt wirkt.

Der Film soll nun auf Tausende von DVDs gebrannt werden, um das Tribunal noch besser unter die Leute zu bringen: damit möglichst viele erfahren, wie trotz geplünderter Böden, Armut und Arbeitslosigkeit, ungesühnter Massaker und tatenloser Regierungsinstanzen so etwas wie Gerechtigkeit oder zumindest eine Aufarbeitung des Geschehenen möglich ist. Die meisten Politiker, die im «Kongo Tribunal» die eigene Unfähigkeit gleich selber vorführen, sind heute nicht mehr im Amt. Der Minen- und der Innenminister wurden schon kurz nach dem ersten Theaterprozess in Bukavu entlassen.

Wir haben es hier also sicher nicht mit einem beschaulichen Dokumentarfilm zu tun, sondern mit einer weitreichenden Intervention in die Wirklichkeit, die noch nicht abgeschlossen ist. Das Bestechende an Raus Technik: Versagende Institutionen in der Realität werden in einer symbolischen, aber täuschend echten Gerichtsverhandlung quasi spielerisch benannt und demontiert. Die reale Machtlosigkeit der Kunst verwandelt sich so in eine erstaunlich effiziente Technik der Wahrheitsfindung. Beim Gerichtsprozess, dessen Befragungen und dessen Ausgang offen sind, kommen alle Beteiligten zu Wort. Und was aus aktueller Sicht besonders überzeugt: Anstelle der in sozialen und anderen Netzwerken allgegenwärtigen Pranger mit ihren lauten Schuldzuweisungen und Empörungswellen sehen wir einen geordneten vielstimmigen Prozess, bei dem stets möglich bleibt, dass auch die Gegenseite recht haben könnte.

Alles hängt zusammen

Der Vertreter einer grossen Minenfirma ist Teil der Jury, Gerichtsvorsitzender ist ein belgischer Anwalt, der am internationalen Strafgerichtshof in Den Haag arbeitet. Als ZeugInnen befragt werden etwa ein bewaffneter Rebell und eine Bäuerin, der man das Haus weggenommen hat und deren Kuh durch giftiges Flusswasser verendet ist. In Berlin kommen der Gewaltforscher Harald Welzer und die Wirtschaftswissenschaftlerin Saskia Sassen zu Wort, um internationale Verstrickungen aufzuzeigen. Geleitet werden die Verhandlungen von Fragen wie: Was ist geschehen? Wer ist verantwortlich? Warum ist dieses fruchtbare und eigentlich steinreiche Land heute so arm dran?

Rau selber lässt sich dabei von einem kongolesischen Oppositionspolitiker instrumentalisieren, um so die grossen Fische der lokalen Regierung anzulocken. Er sagt dazu, man müsse unzimperlich sein und sich auf zwei Sachen konzentrieren: die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen und die wahren Schuldigen zu kriminalisieren. Mit gründlich erörterten lokalen Einzelfällen lassen sich grosse Zusammenhänge kenntlich machen. Nichts geschieht ohne Grund – und alles hängt mit allem zusammen. Von stinkenden Massengräbern und vergifteten Böden führt ein direkter Weg zum Smartphone in meiner Hand: Auch Schweizer (Briefkasten-)Firmen machen mit Seltenen Erden aus dem Kongo Riesengewinne, zahlen dort aber weder Steuern, noch wird die Bevölkerung anderweitig entschädigt.

«Das Kongo Tribunal» läuft ab November 2017 in den Schweizer Kinos. Schon jetzt gibt es einen Materialienband zu kaufen: «Das Kongo Tribunal». Verbrecher Verlag. Berlin 2017. 303 Seiten. 27 Franken.

Das Kongo Tribunal. Regie: Milo Rau. Deutschland/Schweiz 2017