«Kolwezi Hearings»: «Der Bundesrat will die Aufklärung krasser Verbrechen verhindern»
Regisseur Milo Rau kritisiert Justizministerin Karin Keller-Sutter: Wer die Konzernverantwortungsinitiative als Kolonialismus bezeichne, stehe ausserhalb der Geschichte.
WOZ: Milo Rau, Sie inszenieren in Zürich eine Theaterverhandlung über Verbrechen und Unfälle in der kongolesischen Bergbauregion Kolwezi. Der Zuger Konzern Glencore fördert dort in zwei grossen Minen Kobalt und Kupfer. Halten Sie also ein Glencore-Tribunal ab?
Milo Rau: Ja, inhaltlich kann man das durchaus sagen. Alle Fälle, die wir behandeln, haben mit der Firmenpolitik von Glencore zu tun: ein Fall von Korruption und Bestechung im ganz grossen Massstab, Umweltsünden und Menschenrechtsverletzungen. Gleichzeitig steht der Name Glencore natürlich auch für ein System, nämlich für den global operierenden Rohstoffhandel und seine Graubereiche. Aber sogar in dieser ohnehin ultrabrutalen Welt sind Glencore und seine Subunternehmen Avantgarde mit der Kombination aus sogenannten White-Collar-Crimes, bei denen Geld fliesst, und klassischer Gewalt und Unfällen, bei denen Blut fliesst. Es ist beunruhigend, was unsere Untersuchungsleiter da ans Tageslicht befördern.
Der Kongo wird seit den neunziger Jahren von einem brutalen Bürgerkrieg erschüttert. Welche Rolle spielen in diesem Konflikt die globalen Rohstoffkonzerne?
Noch Ende der achtziger Jahre war die Minenindustrie des Ostkongo staatlich organisiert, die Minenarbeiter hatten sogar Krankenversicherungen. Die Weltbank zerschlug diese Strukturen – und nur westliche Firmen hatten genug Geld, um sich die nun freien Konzessionen zu sichern, meist durch Bestechung. Der Regierung wurde ein superliberales Minengesetz aufgedrückt, das dem Staat alle Möglichkeiten nahm, sich gegen die Multis durchzusetzen. Ende der neunziger Jahre brach dann der Bürgerkrieg aus. Firmen wie Glencore machten sich die Korruption der Eliten zunutze, um gewaltige juristische Darkrooms zu schaffen, in denen sie seither unabhängig von jeder Kontrolle agieren.
Wie muss man sich die Situation vor Ort in Kolwezi vorstellen: Ist Glencore dort überhaupt als Firma direkt präsent, oder wird die Verantwortung über Subunternehmen ausgelagert?
Glencore ist ja nicht bloss im Rohstoffhandel tätig, sondern auch vor Ort im Minenbusiness, neben dem Waffenhandel das kriminellste Geschäft der Welt. Da spielt ein gewisser kolonialer Grössenwahn mit, eine «Im Kongo geht alles»-Mentalität, die noch auf Gründer Marc Rich zurückgeht. Gleichzeitig ist Glencore wie jede internationale Firma ein Profi der «Verantwortungsdiffusion». Diesen Begriff prägte Harald Welzer in unserem ersten «Kongo Tribunal» vor fünf Jahren. Sie arbeiten mit Mittelsmännern und Subfirmen, die selbst wiederum mit Subfirmen arbeiten. Das macht Rechtsverletzungen, wie etwa bei einem tragischen Unfall mit einem Säurelaster, den wir in Zürich verhandeln, schwierig nachvollziehbar.
Am 29. November kommt in der Schweiz die Konzernverantwortungsinitiative zur Abstimmung. Würde sie in den Fällen, die Sie anprangern, überhaupt etwas nützen?
Manchmal ja, manchmal nein. Es geht im Grunde um eine prinzipielle Entscheidung: darum, ob Menschen, die von einem Schweizer Unternehmen oder seinen Subunternehmen geschädigt wurden und im Kongo keine Rechtsmittel haben, in der Schweiz vor Gericht gehen können. Wie und in welchem Umfang genau, muss von Fall zu Fall untersucht werden.
Sie haben 2015 erstmals im Ostkongo ein Theatertribunal veranstaltet. Welche Rolle spielt die theatrale Aufarbeitung der Verbrechen für die Versöhnung im Kongo? Bleibt sie symbolisch, oder hat sie eine reale Wirkung?
Die Auswirkungen des ersten Tribunals waren teilweise sehr real: Der Minenminister und der Innenminister der Region Südkivu wurden entlassen. Entscheidend war aber die Symbolik, dass also die Möglichkeit eines internationalen Wirtschaftsgerichtshofs experimentell bewiesen wurde. Wenn wir kommendes Frühjahr die Befragungen, die jetzt in Zürich Station machen, in Kolwezi abschliessen, dann geschieht dies mit offizieller Unterstützung des Minenministeriums. Das kommt schon fast einer Institutionalisierung gleich.
Karin Keller-Sutter, die zuständige Justizministerin, wirft der Konzernverantwortungsinitiative vor, über das Recht einen neuen Kolonialismus auszuüben. Sie kennen die Rechtssituation vor Ort, was sagen Sie dazu?
Dieser Vorwurf ist derart absurd, dass er Karin Keller-Sutter zu Recht um die Ohren gehauen wurde. Was stört denn Frau Keller-Sutter daran, wenn all diese Verbrechen endlich untersucht werden? Vor allem aber: Niemand will einem anderen Land, etwa dem Kongo, irgendwelche Rechtsmittel aufdrücken. Es geht darum, Schweizer Firmen vor Schweizer Gerichten haftbar zu machen. Das ist das genaue Gegenteil von Kolonialismus.
Was sagt die Behauptung von Keller-Sutter über das Verständnis unserer Regierung von der Rolle der Schweiz in der Welt aus?
Es ist interessant, einen Einblick in die Denkweise einer Regierung zu erhalten, die eine minimale rechtliche Aufklärung krassester Verbrechen aktiv verhindern will. Es geht hier nicht um moralische Spitzfindigkeiten, sondern um ganze ruinierte Volkswirtschaften, zu Tode gefolterte Menschen und Naturzerstörungen apokalyptischen Ausmasses. Keller-Sutters Einstellung erinnert an die kürzlich erschienenen Berichte über Schweizer Unternehmen im 19. Jahrhundert, die sich durch Sklavenarbeit bereicherten. Deren Entschuldigung lautete damals, dass die Sklaverei in den entsprechenden Ländern rechtens sei. Ich als St. Galler kann nur sagen: Es wäre schön, wenn endlich auch die Justizministerin aus meinem Heimatkanton einsehen würde, dass wir nicht ausserhalb der Geschichte stehen.
Sie haben Ihr Basislager am Stadttheater Gent aufgeschlagen. Wie nehmen Sie von dort die Abstimmung über die Konzernverantwortung wahr? Kommt endlich die verdrängte Seite des Schweizer Wohlstands ans Licht, oder dient sie dazu, das schlechte Gewissen zu beruhigen?
Es ist doch gut, dass dieses schlechte Gewissen existiert. Das war bei der Abschaffung der Sklaverei, der Aufarbeitung der Naziverbrechen, der Einführung des Frauenstimmrechts genauso: Irgendwann wird aus einem schlechten Gewissen politischer Wille. So funktioniert Demokratie. Es ist schön zu sehen, dass wir Schweizer das Richtige tun.
Geben Sie der Initiative angesichts von Zehntausenden oranger Fahnen eine Chance – oder überzeugt am Ende das altbekannte Argument, man dürfe den Wirtschaftsstandort Schweiz im globalen Wettbewerb keinesfalls schwächen?
Es ist ja noch nicht lange her, dass die Kinderarbeit bei uns verboten wurde. Damals wurde das Gleiche behauptet: dass wir dann nicht mehr wettbewerbsfähig wären. Offensichtlich hat das nicht gestimmt. Was nun die Initiative angeht: Eine derart breite Allianz gab es vermutlich seit der Abschaffung der Sklaverei nicht mehr. Bürgerliche, liberale, kirchliche Kreise, Stadt und Land, Jung und Alt stehen vereint im orangen Fahnenmeer. Spätere Generationen werden sich wundern, dass wir diese Initiative überhaupt debattieren mussten.
Milo Rau (43) gehört zu den bedeutendsten Theaterregisseuren Europas. Derzeit ist er als Intendant am NT Gent in Belgien tätig, sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen bedacht. Im Verbrecher-Verlag ist soeben der Band «Why Theatre?» erschienen: 106 TheatermacherInnen beantworten während der Coronapandemie die Frage, warum es das Theater überhaupt braucht.
Zur Geschäftstätigkeit von Glencore im Kongo siehe auch: «Die Republik in der Republik»