Von oben herab: Gute Fragen

Nr. 34 –

Stefan Gärtner startet eine Umfrage zum O-Bike

Normalerweise veranschlage ich für diese Kolumne fünf Tage: einen, um eine Meinung zu entwickeln, einen zweiten, um den sog. Dreh zu finden, den dritten, um den Dreh als obszön, unlustig und/oder justiziabel zu verwerfen; der vierte Tag dient dem vorauseilenden Schriftverkehr mit Ruedi Widmers Anwältin, und am fünften folgt dann die Niederschrift, meist zwischen halb und Viertel vor eins.

Aber weil in meinem Ostseeurlaub gerade mal die Sonne scheint, muss es heut etwas schneller gehen, und also spare ich mir Dreh und Meinungsbildung und mache es wie der Online-«Tagi» – ich starte eine Umfrage: «Auf was zielt das Geschäftsmodell von O-Bike ab? [  ] Der Veloverleih allein dürfte lukrativ sein. [  ] Die Firma hat es wohl in erster Linie auf die Kundendaten abgesehen. [  ] Schwierig zu sagen, es muss mit dem Versperren des öffentlichen Raumes zu tun haben. [  ] Das ist mir ein Rätsel.»

O-Bike, muss man wissen, ist eine Singapurer Firma, die laut srf.ch die Schweiz mit standortungebundenen Leihvelos «überrollt». Und nicht nur der «Tages-Anzeiger» fragt sich, wie sich das eigentlich rechnet, ob in Zürich, Luzern oder China: «Das Geschäftsmodell ist sehr kapitalintensiv, so Paul Gillis, Professor an der Pekinger Guanghua-Universität, gegenüber dem US-Sender CNBC. Es sei für ihn daher ein Rätsel, wie das aufgehen könne. Bereits wird darüber spekuliert, ob es die Mietvelo-Firmen auf das Depot der Kunden abgesehen haben. So verlangt etwa O-Bike in der Schweiz eine Sicherheit von 129 Franken. Einzelne Experten haben nun die These aufgestellt, dass die Velodienstleister das Geld gewinnbringend anlegen können. (…) Andere Analysten gehen davon aus, dass die Anbieter es auf die Kundendaten der Nutzer abgesehen haben, welche die Apps der Mietvelofirmen sammeln», also auf die Bewegungsprofile. Stimmt alles nicht, sagt die Schweizer Firmensprecherin, die «ein monatliches Einkommen von bis zu 270 000 Franken» ausgerechnet haben will. «Diese Nutzwerte basieren auf bisherigen Erfahrungen. Damit würden wir Gewinn erzielen.» Und das, ohne dass etwa die Stadt Zürich auf einer Genehmigung bestanden hätte, denn es ist, sagt O-Bike, ja nicht verboten, Velos zu parkieren.

Und dazu eine Meinung haben müssen! «Sie brauchen keine Bewilligung und bezahlen keine Gebühr – anders als etwa ein Glacestand. Das ist unfair», fand der «Tagi» im Interview mit der Sprecherin, und diese Ansicht können wir ja schon mal übernehmen und die Leitfrage, ob der öffentliche Raum nicht längst unseren Investoren (m/w) gehört, als sich selbst beantwortend übergehen. Im Weiteren vertraue ich zitierter Umfrage («Sie haben erfolgreich Ihre Stimme abgegeben»), die sich, ausweislich der plänkelnden, vielleicht auch bloss helvetisch neutralen Antwortmöglichkeiten – «dürfte lukrativ sein», «hat es wohl abgesehen» – , an Leute richtet, die weder Zeit noch Lust haben, über die neuste kapitalistische Komplikation nachzudenken, aber trotzdem als Stimmvieh in Erscheinung treten möchten, das zu 23,3 Prozent der Ansicht ist, der Verleih dürfte lukrativ sein, und zu 39,1 Prozent, dass die Firma es wohl in erster Linie auf die Kundendaten abgesehen hat. Für 27 Prozent ist die Affäre ein Rätsel, und 10 Prozent finden: Schwierig zu sagen.

Demokratie und Kapitalismus, heisst es, sind ohne einander nicht zu denken. Ich fürchte, es stimmt.

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Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.