Von oben herab: Mit beschränkter Haftung

Nr. 3 –

Stefan Gärtner über Verantwortung im Konzernparadies

«Mit entsprechendem Profit», zitiert Marx im «Kapital» den englischen Gewerkschafter Dunning, «wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden. 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuss; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.»

Es hat bislang zwei Versuche gegeben, diese Verhältnisse zu beenden. Der erste: Beseitigung der Kapitalherrschaft. Der zweite: Einhegung dieser Herrschaft durch Gesetz und Bittebitte. Das Erste nennt man Kommunismus, das Zweite Sozialdemokratie, und wenn wir uns die Welt, wie sie ist, betrachten, gibt es allen Grund zu der Annahme, die Sozialdemokratie sei noch etwas grundsätzlicher gescheitert als ihr grosser grimmer Bruder.

Im November war die «Konzernverantwortungsinitiative» zustande gekommen; jetzt hat der Bundesrat des Konzernparadieses Schweiz beschlossen, sich zu keinem Gegenvorschlag herabzulassen. «Das Volksbegehren verlangt», fasst srf.ch zusammen, «dass globale Konzerne mit Schweizer Sitz einem zwingenden Regelwerk unterstellt sind, wenn es um die Durchsetzung von Menschenrechten und Umweltschutz bei ihren weltweiten Tätigkeiten geht.» Die Initiative fordert eine «Sorgfaltsprüfungspflicht», wonach auch die Tochter- und Zulieferunternehmen eines Konzerns «Risiken für Mensch und Umwelt» zu prüfen haben und die Zentrale für Schäden, die aus einer Verletzung dieser Sorgfaltspflicht resultieren, haftet.

Klingt prima, wird aber nicht kommen, denn das Schweizer Stimmvolk dürfte ein Gefühl dafür haben, auf welchem Ast es sitzt, und nicht fürs grosse Sägen stimmen. Tut es das aber doch, wäre die Frage, was es heisst, wenn Weltkonzerne für Schäden haften. In Nigeria hat Shell über ein halbes Jahrhundert hinweg das Nigerdelta mit mehr als zwei Millionen Tonnen Rohöl verseucht, allein in den vergangenen Jahren ist laut Wikipedia «durchschnittlich 300mal im Jahr», also täglich, aus kaputten Pipelines Öl ausgelaufen. Dafür hat Shell vor zwei Jahren «nach jahrelangem Rechtsstreit» (FAZ) teuer bezahlt; oder wenigstens in einem Fall von tausend, bei dem aus einer kaputten Pipeline sechzehn Millionen Liter Rohöl ins Land gesickert waren; und so richtig teuer wars mit siebzig Millionen Euro auch nicht. Allein in dem Jahr, in dem Shell sich aussergerichtlich einigte, machte der Konzern einen Gewinn von knapp zwei Milliarden US-Dollar, was aber nur dem niedrigen Ölpreis geschuldet war; der Gewinn aus den acht Jahren zuvor betrug an die 180 Milliarden.

Man stimme ruhig dafür, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen; aber in einem bürgerlichen Staat kann diese Verantwortung nicht weiter gehen als bis zu dem Punkt, an dem der SMI unruhig wird, wie Moral unterm Kapitalismus dazu neigt, eine Angelegenheit jenes Überflusses zu sein, der sich dem Ruinieren und Ausbeuten verdankt: «Der Zuger Rohstoffmulti Glencore erzielte 2014 einen Umsatz von 220 Milliarden US-Dollar, während das Bruttoinlandprodukt der Demokratischen Republik Kongo, wo Glencore zwei Tochterfirmen hat, knapp 39 Milliarden US-Dollar betrug» (siehe WOZ Nr. 16/2016 ). Dass Glencore in Zukunft wenigstens seine Bussenzettel fürs Falschparkieren begleiche, ist da eine schöne Utopie. Wenn auch bloss, als Widerspruch in sich, eine sozialdemokratische.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.