Kost und Logis: Das grosse Gamen

Nr. 35 –

Bettina Dyttrich über «intelligente» Landwirtschaft

An den agronomischen Fakultäten dieser Welt ist das grosse Gamen ausgebrochen. Man setzt auf Drohnen, Roboter und Sensoren – «Smart Farming» heisst der neue Hype. Der Traktor fährt jetzt ohne Fahrer, Sensoren berechnen die Düngermenge für jede Ecke des Feldes, Infrarotkameras erkennen Pflanzenkrankheiten im Frühstadium, und das Halsband schickt der Landwirtin ein SMS, wenn die Kuh zu wenig wiederkäut, also etwas mit ihrer Verdauung nicht stimmt. Inspiriert vom Fussball, betreibt die ETH Zürich ein Versuchsfeld, das von einer «Spider Cam» überwacht wird, die an Drähten durch die Luft surrt. Den Pflanzen beim Wachsen zusehen ist gleich viel spannender, wenn noch ein paar intelligente Geräte herumwuseln.

Aber Ironie beiseite. Mit «Smart Farming» ist es wie mit vielen technischen Entwicklungen: Es gibt durchaus sinnvolle Anwendungen. Roboter im Ackerbau können den Boden schonen, wenn sie statt schwerer Maschinen eingesetzt werden. Jätroboter könnten dereinst die vielen Gifte ersetzen, die man gegen Unkräuter spritzt. Und manchmal erleichtert «smarte» Technik das Leben enorm, wie kürzlich eine französische Bäuerin an einer Veranstaltung erzählte: «Dank Melkroboter haben wir endlich ein Familienleben!»

Nur leben wir leider im Kapitalismus. Da geht es nicht in erster Linie darum, was sinnvoll ist, sondern was Profit verspricht. Einen grossen Teil der neuen Technik «braucht es», weil in Europa und Nordamerika die Betriebe zu gross geworden sind: so gross, dass die Felder kilometerweit auseinanderliegen und man sich nicht mehr um einzelne Tiere kümmern kann.

Wir brauchen «Smart Farming», weil es schlicht nicht mehr genug Leute gibt, die diese anstrengende Arbeit leisten wollen: Dieses Argument hört man oft. Aber stimmt es überhaupt? Es stimmt, dass viele Bauernfamilien keine Nachkommen haben, die übernehmen wollen. Aber europaweit würden Tausende von gut ausgebildeten QuereinsteigerInnen gerne bauern – und finden keinen Hof, den sie sich leisten können. Die Weitergabe findet in der Familie statt: Darauf sind die Strukturen in fast allen Ländern ausgerichtet, das war jahrhundertelang so und in einer Agrargesellschaft auch naheliegend. Heute blockiert es die Erneuerung der Branche. Denn es sind sehr oft die QuereinsteigerInnen, die biologisch bauern, mit seltenen Nutzpflanzen und -tieren arbeiten, neue Produkte erfinden und den engen Kontakt mit den KonsumentInnen suchen (siehe WOZ Nr. 37/2015 ).

Mehr Menschen zu dieser Arbeit motivieren, den bereits motivierten einen Zugang zur Branche verschaffen und dann auch noch dafür sorgen, dass sie ohne Selbst- und Naturausbeutung leben können: Das wären Aufgaben für die Zukunft – statt die Landwirtschaft in robotergerechte Fliessbandarbeiten zu zerstückeln. Aber mit solchen Vorschlägen macht man natürlich keine Karriere an den agronomischen Fakultäten.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.