Kino-Film «Western»: Fremd in der bulgarischen Prärie

Nr. 36 –

Die Osterweiterung als Westernkulisse? Im grossartigen neuen Film der deutschen Regisseurin Valeska Grisebach («Sehnsucht») hat alles zwei Seiten. Mindestens.

Ein unlesbarer Held: Meinhard Neumann als ostdeutscher Saisonnier in Bulgarien. Still: Trigon-Film

Er mutet fast ausserweltlich an, der Schimmel, der in «Western» wie aus dem Nichts auftaucht, unweit der behelfsmässigen Unterkunft, in der sich eine Gruppe deutscher Arbeiter mehr oder weniger häuslich eingerichtet hat. Eigentlich sind die Deutschen gekommen, um ein Wasserkraftwerk zu bauen, als Teil eines EU-Infrastrukturprojekts – der Film spielt fast komplett in den waldigen, hügeligen, spärlich bewohnten Weiten der bulgarischen Provinz, unweit der griechischen Grenze. Doch die Arbeit geht zunächst kaum voran, ironischerweise vor allem deshalb, weil auf der Baustelle Wassermangel herrscht. Die Männer nutzen die freie Zeit, um sich in der Gegend umzuschauen, biertrinkend in der Sonne zu liegen, ein paar Frauen aus dem benachbarten Dorf beim Baden zu belästigen. Oder eben auch, um Ausflüge auf dem glänzend weissen Pferd zu unternehmen, ohne Sattel.

In diesen Szenen zeigt sich eine Vertrautheit zwischen Reiter und Tier, die alles andere als selbstverständlich ist, die in «Western» aber etwas Beiläufiges hat: Das gehört einfach zu der Welt, die Valeska Grisebach in ihrem dritten Spielfilm (dem ersten seit über zehn Jahren) entwirft. Eine Welt ist das, in der die Menschen der Natur noch etwas näher sind, als man das im modernen Europa gewohnt ist. Der Natur nahe sein: Das heisst freilich nicht nur, auf wunderschönen Pferden durch liebliche Mischwälder zu reiten. Der wahre Charakter eines Mannes, so sagt später jemand im Film, zeigt sich, wenn es darum geht, ein Tier mit einem Gnadenschuss zu erlösen. Alles hat zwei Seiten in diesem Film, mindestens.

Hommage an das Beste im Western

Den Männern in «Western» sitzen die Messer locker, der Umgangston ist schroff. Die Deutschen betrachten sich selbst keineswegs als Gäste, gleich nach der Ankunft wird erst einmal die schwarz-rot-goldene Fahne gehisst. Der Film ist allerdings nicht aus der Perspektive der Nation erzählt, für die diese Fahne steht, sondern aus der von Meinhard (Meinhard Neumann), einem stillen Aussenseiter unter den Neuankömmlingen. Er ist der Erste, der auf dem Pferd sitzt. Und wo seine Kollegen die Umgebung als feindliches Territorium und die Einheimischen als potenzielle Gefahrenquelle betrachten, verbringt Meinhard bald einen Grossteil seiner Zeit im Dorf, dessen BewohnerInnen die Deutschen wiederum abwartend, teils neugierig, teils misstrauisch beobachten.

Dass hier kaum einer Deutsch und Meinhard kein Bulgarisch spricht, ist nur scheinbar ein Hindernis. In der Tat erfährt man voneinander oft mehr, wenn man gezwungen ist, in der Kommunikation nicht nur auf die Sprache zu vertrauen. «Western» ist auch ein Film über Völkerverständigung.

Meinhard ist eine grossartige Hauptfigur. Neumann, wie alle Darsteller vorher komplett ohne Kinoerfahrung, strahlt in seiner hochgewachsenen, etwas schlaksigen und dennoch eleganten Körperlichkeit eine gelegentlich fast ironisch anmutende Gelassenheit aus. Ein «Schlitzohr» nennt ihn einer der Kollegen, es gibt Andeutungen über eine Söldnervergangenheit, aber die Motive seines Handelns bleiben weitgehend im Dunkeln. Einerseits fügt er sich perfekt in die Tradition der mythologisch überhöhten Westernhelden, die als einsame Wölfe durch die Prärie streifen, andererseits ist er völlig unlesbar, für die Figuren im Film wie auch für uns. Grisebach nimmt den Titel ihres Films also völlig ernst: «Western» ist genauso mit Haut und Haar ein Western, wie ihr Vorgängerfilm «Sehnsucht» (2006) mit Haut und Haar ein Melodram war. Aber gleichzeitig nimmt sie den Genres, auf die sie sich bezieht, alle Selbstverständlichkeiten.

Vielsagende Blicke unter Männern

Wenn sich der Film weitgehend auf Meinhards Perspektive einlässt, dann nicht, um dadurch die Welt, durch die er sich bewegt, zu ordnen und erklärbar zu machen. Im Gegenteil wird die Welt, wenn man durch Meinhards Augen auf sie blickt, selbst zunehmend unlesbar. «Western» setzt das vielfältige Beziehungs- und Interessengeflecht, das sich zwischen Deutschen und BulgarInnen, aber auch zwischen einzelnen Akteuren innerhalb beider Camps entspinnt, zunehmend unter Spannung – ohne dass es je zur Eskalation kommt. In die Verhandlungen über eine Neuverteilung der Wasserleitungen mischt sich ein geheimnisvoller Kiesgrubenbesitzer ein; Meinhards Konflikt mit dem breitbeinigen Vorarbeiter Vincent artikuliert sich über weite Strecken nur über Blicke; und auch in sein Verhältnis zu den Leuten im Dorf schleichen sich bald Zwischentöne ein, die klarmachen, dass es Grisebach keineswegs um die Geschichte einer «umgekehrten» gelungenen Integration geht.

«Western» ist ein Film über unsere Welt, über unsere Gegenwart, in all ihren Ambivalenzen: Es geht um die Angst vor dem Fremden (aber auch um die Möglichkeit der Begegnung mit dem Fremden), um toxische Männerklüngel (aber auch um die Schönheit und Eleganz männlicher Körper), es geht darum, dass ein Mann um seine persönliche Autonomie kämpft (aber auch darum, dass er sich nach einer Erfahrung von Gemeinschaft sehnt). Gleichzeitig gelingt es dem Film, eine eigene Welt zu erschaffen, so dicht und lebendig, dass man sich für zwei Stunden komplett in ihr verlieren kann. Fast noch mehr als seine thematische und erzählerische Komplexität begeistert die Sorgfalt, die Grisebach auf jedes Detail, auf jede einzelne Einstellung verwendet. Genauer gesagt: die in jedem Bild spürbare Insistenz darauf, dass jedes Detail dieser Welt unsere volle Aufmerksamkeit verdient.

Ab 7. September 2017 im Kino.

Western. Regie: Valeska Grisebach. Deutschland/Bulgarien 2017