Transhumanismus: Das Unbehagen an unserer Biologie
Der Journalist Mark O’Connell hat eine Reihe unterschiedlichster Transhumanismus-EnthusiastInnen porträtiert. Ihre Visionen führen direkt ins Herz der digitalen Finsternis.
Der Kapitalismus hat die Unsterblichkeit als investitionswürdig entdeckt. Genetik, Neurologie, künstliche Intelligenz, Bioinformatik und andere Disziplinen wecken Erwartungen an eine Lebensverlängerung nach Belieben. Vor allem in der kalifornischen Bay Area formiert sich eine «Unsterblichkeitsbewegung». Der Journalist Mark O’Connell beschreibt sie in seinem jüngst erschienenen Buch «Unsterblich sein» als ein gärendes Gemisch aus Unternehmern, Wissenschaftlern, Ingenieuren, Garagen-und-Keller-Experimentatoren, Risikokapitalisten, Trickstern, Spinnern, Technoevangelisten. Und ja: Auch ein paar Frauen mischen darin mit.
Ein altes religiöses Motiv wird schnell erkennbar: Erlösung von der Körperlichkeit. Der Körper des Menschen ist sein Grab, verkündeten schon die christlichen Gnostiker der Spätantike. Die neuen TechnognostikerInnen wollen ihm entfliehen. Zum Beispiel, indem sie den Körper – die Wetware – mit zusätzlicher Hard- und Software aufrüsten. So träumt etwa Tim Cannon vom Pittsburgher Start-up Grindhouse-Wetware nicht nur von der Mensch-Maschinen-Verschmelzung, er bastelt und experimentiert auch praktisch am eigenen Körper herum. Am Unterarm liess er sich einen spielkartengrossen Sensor implantieren, der biometrische Daten registriert und an sein Handy sendet. Cannon kann darüber auch den Thermostat der Zentralheizung zu Hause nach seiner Körpertemperatur regulieren.
Altern – ein evolutionärer Pfusch
Kindischer Cyborgschnickschnack, werden viele sagen. Aber zu denken gibt die tiefe Verachtung des Fleisches. Cannon spricht von einem «Beutel voller Chemikalien, der auf Scheisse reagiert». Er meint damit nicht nur sich selber – auf dieser Vorstellung beruht sein ganzes, verblasen-maschinistisches Menschenbild. Darin trifft er sich auch mit einem anderen Biologieverbesserer, dem Informatiker Aubrey de Grey. Dieser entdeckte, dass eine Ursache des Alterungsprozesses in Schäden und Mutationen der Mitochondrien liegt, der zellulären Energielieferanten für zahlreiche Lebensprozesse. Altern und Tod verdanken wir einem evolutionären Pfusch, einer steten Akkumulation von Schäden – de Greys Programm richtet sich infolgedessen auf die Verhinderung solcher Schäden, quasi auf eine mitochondrische Reparaturwerkstätte. Zur «Entwicklung vernachlässigbarer Vergreisung» («Strategies for Engineered Negligible Senescence») hat er eine eigene Organisation gegründet. Er träumt vom tausendjährigen Menschen. Das einzige Problem: die Finanzierung.
Der Alterungsprozess scheint im Organismus einprogrammiert zu sein. Könnten wir also diesen Code knacken, könnten wir ihn auch hacken, sprich: manipulieren. Das ist die verführerische Idee einer anderen Art von Biologieüberwindung. Sie sieht im Körper ein Programm ablaufen, das sich womöglich auf ein nicht biologisches Operationssystem übertragen liesse. Solchen Visionen geben sich etwa der Singularitäts-Zarathustra Ray Kurzweil oder der Neuroinformatiker Randal Koene hin. Koene ist Gründer von «Carboncopies», einer gemeinnützigen Organisation, die sich das Ziel gesetzt hat, mittels Neuroprothesen eine Gesamthirn-Emulation zu realisieren. Auf diese Weise würde die Schaffung eines «substratunabhängigen» Bewusstseins möglich, das nicht nur beliebig lange existiert, sondern sich auch immer wieder updaten liesse. Kurzweil bereitet sich geradezu zwanghaft auf seine Unsterblichkeit vor, mit einer Diät aus Beeren, Porridge, Makrelen, dunkler Schokolade, Espresso, Grüntee. Hinzu kommen etwa hundert Pillen pro Tag. Insgesamt soll er jährlich rund eine Million US-Dollar für das Vorgeplänkel seines ewigen Lebens verschleudern.
Vision oder Wahn?
O’Connells Buch ist keine philosophische Auseinandersetzung mit dem Transhumanimus. Es führt uns quasi ins Herz der digitalen Finsternis. Denn bei den futuristischen Fantasien kann man sich oft des Eindrucks nicht erwehren, dass die Flügel der Vision den Wahn streifen. Es ist sogar ein geschickter Zug von O’Connell, die PromotorInnen der Bewegung selber zu Wort kommen zu lassen, denn auf diese Weise outet sich der oft bizarre, extravagante, obsessive, lächerliche, ja, schlicht irre Charakter ihrer Biologieüberwindung direkt.
Es wäre falsch, hier nur eine abgedrehte Randgruppe auszumachen. Ihre VertreterInnen sind eher das Symptom einer Entwicklung, die mit der Computertechnologie im Rücken sich offensichtlich anmasst, die Evolution mit anderen Mitteln fortzuführen. Die ErlösungsingenieurInnen sind geblendet von der Metapher der algorithmengesteuerten Maschine.
Die Chuzpe, mit der uns eine zukünftige glückliche Menschheit verkündet wird, verdeckt allerdings die Tatsache, dass diese Menschheit letztlich aus einer Clique von Krösussen besteht, die sich an der Idee der machbaren Unsterblichkeit beschwipsen und fiebrig das nächste Big Thing erwarten. Im Silicon Valley fusionieren Nanotechnologie und Narzissmus. Und genau in dem Moment, in dem sie die Unvermeidlichkeit des Todes abzuschaffen versuchen, geben sich die transhumanistischen Prahlereien als das zu erkennen, was sie sind: zutiefst antihumanistische Technikfrömmelei.
Mark O’Connell: Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen. Hanser Verlag. München 2017. 304 Seiten. 37 Franken