Kost und Logis: Die neuzeitliche Küche

Nr. 39 –

Karin Hoffsten sucht nach den historischen Wurzeln von Foodporn

Entgegen naheliegenden Assoziationen versteht man unter Foodporn nicht den alten Brauch, mittels alltäglicher Nahrungsmittel Geschlechtsteile darzustellen; schliesslich weiss jedes Kind, wie sich schon aus einem schlichten Rüebli und zwei hart gekochten Eiern etwas Hübsches gestalten lässt – eine Kunstform, als deren Urvater übrigens jener Konditormeister gilt, der seit Jahrzehnten dafür sorgt, dass das Zürcher Kleinbürgertum verklemmt kichernd an Glacékugeltürmen namens «Frauentraum» lutscht.

Foodporn hingegen setzt lediglich die uralte Weisheit «Das Auge isst mit» digital um: Was immer auf dem Teller liegt, wird von FoodpornografInnen fotografiert und ins Internet gestellt, bevor ihr Verdauungstrakt es in eine weniger ansehnliche Erscheinungsform transformiert. Wer Foodporn googelt, landet 48 Millionen Treffer, auf Instagram sind es noch ein paar Millionen Fotos mehr.

«Mit einem Buttersösschen angerichtete Gemüse lassen sich mit Butterteighalbmonden, Windbeuteln, glacierten oder gebratenen runden Kartöffelchen oder aufgerollten und dann in drei Stücke zerschnittenen Flädchen umlegen.»

Nun wohnt dem Anblick eines giftgrün leuchtenden Pfefferminzblatts auf einer grellvioletten Heidelbeercremepfütze ja durchaus ein optischer Reiz inne; doch es gibt auch jede Menge Essbares, das eindeutig besser schmeckt, als es aussieht, oder haut Sie ein Foto von Hacktätschli mit Bratkartoffeln vom Hocker?

«Will man ein übriges tun, so können dem Rand entlang mit schaumig gerührter Butter oder Schweineschmalz, welche man noch beliebig färben kann, Girlanden oder Arabesken aufgespritzt werden.»

Quer durch Deutschland besuchte eine Journalistin für die «Süddeutsche Zeitung» Restaurants, in denen die Mahlzeiten so foodporntauglich hergerichtet werden, dass manche Gäste ohne zu murren mehr als zwei Stunden auf einen Platz warten.

«Das bisschen Zeitaufwand wird reichlich aufgewogen durch die Tatsache, dass auch das einfachste Gericht durch ein appetitliches Anrichten und eine einfache und hübsche Garnierung nicht nur an lockendem Aussehen gewinnt, sondern auch tatsächlich besser schmeckt.»

Leider nicht immer, denn in einigen Fällen konstatierte die Testesserin: «Macht man die Augen zu, schmeckt es eher durchschnittlich», und an einem Ort fragte sie sich gar: «Aber warum schmeckt das Avocado-Dattel-Schoko-Dessert nach fieser Matsche?»

«Die gestürzte Sulze wird, mit Krebs oder Krevetten, Sulzcroutons und Petersilie garniert, mit Mayonnaise zu Tisch gegeben.»

Und das wird jetzt – hopp, hopp und ohne Foto – einfach gegessen!

Alle nicht gekennzeichneten Zitate aus: «Die neuzeitliche Küche. Ein praktischer Lehrkurs der Kochkunst und Ernährungskunde sowie der Diätküche von Küchenmeister Rudolf Zäch und anderen Mitarbeitern». Wallisellen 1932, 1186 Seiten.

Karin Hoffsten räumt ein, auch schon mal den Inhalt ihres Tellers fotografiert zu haben, als sie im Spital war, legt aber Wert auf die Feststellung, dass sie das Foto nur im engsten Freundeskreis verschickt hat.