Für die WOZ habe ich einmal kurz mit Christian Gross gesprochen. Es ging um Mentaltraining und die Magie von Metaphern. Gross kann sich an das Gespräch kaum mehr erinnern. Er hätte auch am liebsten gar nichts gesagt damals, man nütze die Sache nur ab, wenn man zu viel darüber rede. Was vermutlich stimmt. Gross liess sich trotzdem einige Sätze zur Geschichte der Trainingslehre entlocken, wovon mir der folgende seither am meisten zu denken gab: «In den achtziger Jahren war vor allem die Ernährung ein Thema, weg von Fleisch mit Salat hin zu Pasta und Kohlenhydraten.»
Vor wenigen Jahren schafften es die Schweizer Ski-Nachwuchsfahrerinnen in die Schlagzeilen, weil aufgefallen war, dass ihre Waden immer strammer wurden. Jemand kam dann auf die Idee, die Steckbriefe der Jungsportlerinnen auf deren Lieblingsessen zu untersuchen, und kam zu einem unangenehm einheitlichen Befund: Pasta. Alle. Aus dem einzig erlaubten wird das Lieblingsessen, aus der Not eine Tugend. Die Theatergruppe 400asa hat diese fast totalitäre Teigdiät später in ihr Stück «B.» über den verunfallten Skifahrer Beltrametti eingebaut und grossartig wiedergegeben, was im allgemeinen Skandalgeheul um die Inszenierung leider unterging. Um nun aber nicht noch weiter abzuschweifen, zurück zu Herrn Gross: Stimmt das? Das heisst: Stimmt, was für junge Skifahrerinnen stimmt, auch für Schweizer Fussballer?
Ich habe den Wandel von den Achtzigern zu den Neunzigern anhand der beiden Jahrbücher «Fussball, Saison 82/83» und «Fussball, Saison 93/94» untersucht. Die Ergebnisse, so viel vorweg, sprechen eine deutliche Sprache. Von den sechzehn 1982 porträtierten Stars mögen ganze drei am liebsten Teigwaren, und das auch nur, wenn man die «Italienische Küche» von René Botteron und Gianpietro Zappa sowie den «Rehpfeffer mit Spätzli» von Erni Maissen dazu zählt. Die anderen: erfreulich heterogene Esser. Nebst dem Klassiker «Alles, was meine Frau kocht» (Favre, Wehrli, Zwicker) finden wir bei Herrn Scheiwiler ein raffiniertes Filet de Sole, bei Ruedi Elsener ein Chateaubriand, bei Dr. Roger Berbig eine Berner Platte (mit sauberem Schnitt wird die Schwarte vom Speck getrennt) und bei Umberto Barberis ein Raclette. Mit Ausnahme Heinz Hermanns («Alles, was gut gekocht ist») kann man sagen: Hier wird gegessen, was die Küche hergibt. Zehn Jahre später ist alles anders.
1993 sind es fünfzehn Spieler, die näher vorgestellt werden. Davon geben elf Teigwaren als ihr Lieblingsessen an, sechs sogar ohne Sauce. Bei Marco Grassi ist so was noch zu verstehen, wenn man angesichts der jüngsten Aufnahmen auch konstatieren muss, dass er es mit seiner Leibspeise seit Karrierenende wohl etwas übertreibt. Wie eine mittelländische Frohnatur wie Hausi Hilfiker aber allein aufgrund ernährungswissenschaftlicher Befunde den mutterschen Kochtöpfen entsagen kann, bleibt ein Rätsel. Dankend lesen wir da von letzten YB-Essrebellen wie Adrian «Chäsi» Kunz, der, wenn auch nicht Fondue, so doch immerhin Pouletgeschnetzeltes zu seinem Liebsten zählt, und dem unerschütterlichen Heinz Moser, der den tot geglaubten Riz Casimir ein letztes Mal röcheln lässt, garniert mit Dosenfrüchten.
Christian Gross hat seinem Exkurs in die Ernährungslehre damals angefügt, seit den Neunzigern konzentriere man sich nun eben stärker auf die mentale Arbeit. Was heisst das fürs Essen heute? Macht die Kopfarbeit den Magen frei? Erleben wir die Renaissance des Kalbssteaks an Morchelrahmsauce (Andy Egli, 1982)? Meister FC Zürich gibt die Antwort, und sie lässt Gutes erahnen: Das Erbe der Berner tritt die «Tunesische Platte» an (Yassine Chikhaoui), Geschmortes darf wieder sein (Braten, Raffael), Afrika ersetzt Italien (Alphonse), zu «Mamas Küche» zu stehen ist wieder in Ordnung (Da Costa, Kollar, Barmettler, Gashi), Asiatisches, noch 1993 eine unbekannte Grösse, ist hoch im Kurs (Lampi, Stahel, Schneider, Leoni), und Geselligkeit ist auch nicht mehr von gestern (Daniel Stucki: «Penne Pomodoro bei Franco di Jorio»).
Die Diktatur des Hartweizens scheint tatsächlich vorbei, sie hat einer unbeschwerten, modernen Vielfalt Platz gemacht, in der auch ein Raclette wieder seinen Platz hat, und zwar mit Speck. Das ist Alain Rochats Lieblingsessen, und ich kann mir gut vorstellen, warum. Raclette mit Speck ist sehr fein. Ich muss jetzt leider aufhören.
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