Von oben herab: Markttag

Nr. 39 –

Stefan Gärtner über das rechtsradikale Angebot

Dass es so schön in der schönen Schweiz ist, liegt auch daran, dass es dort keine AfS gibt, eine Alternative für die Schweiz, weil eine solche dort nicht nötig ist; denn wer christlich-abendländisch, konservativ, ausländerskeptisch wählen will, wählt einfach die grosse christlich-abendländische, konservative, ausländerskeptische Volkspartei. Es braucht keinen rechten Rand, wenn die Mitte bis zum Rand reicht.

Das tat sie etwas nördlich lang genug. Wer Mitte vierzig ist, wird sich an CSU-Stoibers Satz von der «durchrassten Gesellschaft» erinnern, an den SA-Reiter Carstens als Bundespräsidenten und seinen Nachfolger, den Edeldemokraten von Weizsäcker, der einst seinen Vater bei den Nürnberger Prozessen verteidigt hatte und stets der Ansicht blieb, dem hohen Handlanger Grossdeutschlands sei Unrecht geschehen. Des Sohnes Rede zum 40. Jahrestag des 8. Mai 1945 konnte dann legendär werden, weil sie die bis zur letzten Patrone verzögerte Kapitulation zur «Befreiung» adelte und den «meisten Deutschen» attestierte, sie hätten «geglaubt, für die gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen und zu leiden. Und nun sollte sich herausstellen: Das alles war nicht nur vergeblich und sinnlos, sondern es hatte den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient.» Überraschung; und trotz des feinen Tricks mit der «Befreiung» (und weil Weizsäcker, immerhin, auch an die Verfolgung von Homosexuellen und Sinti und Roma erinnerte und sogar den kommunistischen Widerstand würdigte) gab es 1985, als die Wehrmachtsgeneration noch längst nicht ausgestorben war, viele, die dem konservativen Historiker Hillgruber beipflichteten, der darauf bestand, die Niederlage samt «Zerschlagung des Reiches» sei eine «Katastrophe» gewesen.

Drei Jahre später, am 10. November 1988, hielt der Bundestagspräsident Jenninger eine weitere legendäre Rede, in der er mit dem Stilmittel der erlebten Rede experimentierte: «Und was die Juden anging: Hatten sie sich nicht in der Vergangenheit doch eine Rolle angemasst – so hiess es damals –, die ihnen nicht zukam? Mussten sie nicht endlich einmal Einschränkungen in Kauf nehmen? Hatten sie es nicht vielleicht sogar verdient, in ihre Schranken gewiesen zu werden?» Er musste gehen, offiziell, weil seine Rede taktlos gewesen sei, eigentlich, weil sich zu viele zu gut erinnerten und «das Eingeständnis einer millionenfachen Mitverantwortung der Deutschen für die NS-Verbrechen» als «Wahrheit zu früh» gekommen war (Institut für die Geschichte der deutschen Juden).

Heute, eine Generation und die faktische Abschaffung des Asylrechts später, ist Israel der Deutschen liebster Staat, sind Schwule und Zigeunerinnen populär wie nie und gibt es aber immer noch (und neuerlich) Leute, die auf «Schuldkult» und Flüchtlinge keine Lust haben, Ökologie und Emanzipation für eine Verschwörung halten und auf die deutschen Soldaten der Weltkriege stolz sein wollen. Diese Leute hätten früher Strauss gewählt, den Freund Pinochets, oder Dregger (CDU), Apologet des Unternehmens Barbarossa und Streiter für die «nationale Regeneration». Wo eine bestehende Nachfrage von der bürgerlichen Mitte nicht mehr bedient wird, werden andere ein Angebot unterbreiten und neuen Wettbewerb in Gang setzen. Schon hat Seehofer angekündigt, wieder «klare Kante» zu zeigen, denn was bürgerlich ist und was rechtsradikal, bestimmt allein die Marktlage.

Auch dafür ist der Markt zu loben.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er sonst das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.