Die Linke und die Migration: KanutInnen auf Schlingerkurs
Die Führung der deutschen Linkspartei könnte sich eigentlich über das gute Wahlergebnis freuen. Lieber zerfetzt sie sich aber wegen der Frage, wie sie an fremdenfeindliche WählerInnen herankommt.
Eigentlich müsste bei der Linkspartei Entspannung herrschen. Sie hatte bei der Bundestagswahl vor einem Monat 9,2 Prozent der Stimmen geholt – ein Zuwachs von einer halben Million WählerInnen gegenüber 2013. Angesichts des Rechtsrucks in Deutschland, der die fremdenfeindliche AfD ins Parlament gebracht hat, ist dieses Ergebnis zumindest ein Achtungserfolg. Zugleich verzeichnet die Linkspartei einen steten Mitgliederzuwachs. Und trotzdem liefert sich ihr Führungspersonal seit Wochen einen erbitterten Grabenkampf.
Wie schlecht es um Die Linke derzeit steht, ist allein schon daran abzulesen, dass in der Parteispitze ernsthaft der Vorschlag erwogen wird, den schwelenden Machtkampf bei einer gemeinsamen Kanutour in der Uckermark beizulegen. Teambuilding in einem Kanu in der ostdeutschen Provinz? Da dürfte Verzweiflung im Spiel sein.
Im Zentrum des Konflikts stehen die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die sich den Fraktionsvorsitz im Bundestag teilen. Eskaliert war der Streit, nachdem Kipping und Riexinger versucht hatten, die Zuständigkeiten der Fraktionsführung zu beschneiden. Wagenknecht sprach von einem «penetranten Kleinkrieg» gegen ihre Person und drohte mit Rücktritt. Offiziell ist die Sache zwar inzwischen beigelegt, faktisch aber stehen sich die Lager nach wie vor unversöhnlich gegenüber. Denn es geht um viel mehr.
Politik der offenen Grenzen?
Zur Disposition steht nämlich die Position der Partei in Sachen Migration. Schon am Wahlabend hatte Wagenknecht ihre KollegInnen dafür kritisiert, es sich in der Flüchtlingsfrage «zu einfach» zu machen; deshalb seien Stimmen an die AfD verloren gegangen. Kurz darauf stiess Oskar Lafontaine, Mitbegründer der Partei und Wagenknechts Ehemann, ins selbe Horn: Man dürfe «die Lasten der Zuwanderung» nicht «denen aufbürden, die ohnehin bereits die Verlierer der steigenden Ungleichheit» seien. Beide richteten sich damit gegen die vor allem von Kipping befürwortete liberale Migrationspolitik, die langfristig eine Welt anvisiert, in der sich nicht nur Kapital, sondern auch Menschen frei bewegen können.
Wagenknechts und Lafontaines Attacken riefen ihrerseits harsche Reaktionen hervor, etwa vonseiten des früheren Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi oder des linken Philosophen Thomas Seibert, der Wagenknecht Rassismus vorwarf. Immer wieder wartet die 48-Jährige mit Äusserungen auf, die darauf abzielen, WählerInnen zu erreichen, die Zuwanderung ablehnen und daher besonders von der AfD umworben werden. So sprach Wagenknecht beispielsweise schon Anfang 2016 von den «Grenzen der Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung». Lafontaine hatte seinerseits bereits 2005 gefordert, dass der Staat verhindern müsse, «dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen». Damals wie heute beruft sich der ehemalige SPD-Chef darauf, lediglich die Sorgen der «kleinen Leute» ernst zu nehmen.
Avancen von Rechtsaussen
Zwar stimmt es, dass MigrantInnen für schlecht qualifizierte Menschen mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt bedeuten, auch wenn Zuwanderung zugleich positive wirtschaftliche Effekte zeitigt. RechtspopulistInnen nutzen solche Gemengelagen für sich aus, indem sie diese zu ethnischen Konflikten zwischen «Fremden» und «Einheimischen» erklären, anstatt für Solidarität zwischen all denjenigen zu werben, die gleichermassen unter den Verwertungszwängen des Marktes leiden. Wagenknecht und Lafontaine verfolgen in dieser Konstellation offenkundig eine Linie, die Erinnerungen an die unselige Strategie der Querfront wachruft – an ein antiliberales Bündnis sozialer und nationaler Kräfte also.
Kein Wunder, dass sich jüngst Jürgen Elsässer, Chef der rechtsextremen Zeitschrift «Compact», in einem Brief an Wagenknecht – «die letzte vernünftige Linke (zusammen mit ihrem Oskar)» – zu Wort meldete. Elsässer ermunterte sie darin, sich «aus der Babylonischen Gefangenschaft der grünversifften Linkspartei» zu befreien, am besten durch Gründung einer lagerübergreifenden Bewegung zur Verteidigung der «Nation».
Wie solche Avancen zu deuten sind, könnte ja Gesprächsstoff für den Trip in die Uckermark bieten.