Kommentar zur deutschen Linkspartei: Wahlverweigerung, Zwist und Führungskrisen
In vielen europäischen Staaten legen linke Parteien und Bewegungen zu – nur die einst starke deutsche Linkspartei verliert zunehmend an Einfluss.
Während sich das lauwarme linke Lager, also SPD und Grüne, feiert, weil es nicht nur in Nordrhein-Westfalen (NRW) wieder eigene rot-grüne Mehrheiten gewinnen kann, droht die Partei Die Linke im Aus zu landen. Lange Zeit war Die Linke ein Erfolgsprojekt. Sie gewann in vielen Wahlen Stimmenprozente und Mandate, thematisierte wie keine andere Partei die sozialen Verwerfungen im Land, opponierte gegen die deutschen Kriegseinsätze und stimmte als einzige Bundestagsfraktion gegen den europäischen Fiskalpakt. Doch ist sie innerhalb weniger Tage zuerst in Schleswig-Holstein, dann in NRW hochkant aus dem Landtag geflogen – und steckt mitten in einer wüsten Personaldebatte und im Streit darüber, ob sich die ostdeutschen Parteigliederungen abspalten und eine linke Regionalpartei gründen sollen.
Für die jüngsten Niederlagen der Partei gibt es viele Erklärungen beziehungsweise Erklärungsversuche: SPD und Grüne brauchen, so scheint es, seit einiger Zeit Die Linke nicht mehr, um Regierungsmehrheiten zu bilden. Die WählerInnen, die am meisten unter der grassierenden sozialen Ungerechtigkeit leiden – die Arbeitslosen, die BilliglohnarbeiterInnen –, gehen viel seltener zur Wahl als andere. Diese für die SPD und vor allem Die Linke wichtigen Schichten verabschieden sich, das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, allmählich vom politischen System: Ihre Resignation drückt sich in Wahlverweigerung aus. Auch deswegen lag die Wahlbeteiligung selbst bei der politisch spannenden und wichtigen NRW-Wahl – Nordrhein-Westfalen ist das grösste Bundesland – bei nur knapp sechzig Prozent.
Da die SPD im Bund nicht regiert und sich in den Ländern halbwegs von der früheren unsozialen Politik Gerhard Schröders (Hartz IV, Agenda 2010) distanziert, driften viele WählerInnen von der Linken zurück zur SPD. Und mit der Piratenpartei ist eben auch für Die Linke eine weitere Konkurrentin entstanden, die zudem zeigt, dass aus Unbekümmertheit, Jugend und mit dem Internet Wahlerfolge gezimmert werden können. All diese Gründe, vor allem in ihrer Addition, leuchten als Erklärungen ein. Vermutlich ist aber auch ein anderer Grund mit ausschlaggebend: Diese Partei ist mit sich nicht im Reinen, sie ist tief zerstritten. Wer mag eine solche Partei noch wählen?
Die Spannungen zwischen den ehemaligen ostdeutschen Mitgliedern der alten Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und den westdeutschen der ehemaligen Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) – beide gründeten 2007 Die Linke – sind nicht schwächer, sondern stärker geworden. In keiner anderen Partei, berichten JournalistInnen, würden selbst führende PolitikerInnen hinter vorgehaltener Hand so herablassend über ihre ParteifreundInnen sprechen. Und so überlegen sich manche ostdeutsche Parteigliederungen unter Führung von Dietmar Bartsch – der im Juni für den Parteivorsitz kandidieren will – seit längerem, ob sie den Pakt mit den westdeutschen Linken nicht aufkündigen und wieder zu einer Ostpartei werden wollen. Die Wahlniederlagen im Westen und grandiose Erfolge etwa bei den Kommunalwahlen im ostdeutschen Thüringen bestärken sie darin. Bereits im Jahr 2011 hatten sich die Schlappen im Westen gehäuft: In Hamburg und auch im Saarland schnitt Die Linke zwar ordentlich ab, jedoch verfehlte sie in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz den Einzug in den Landtag, und in Berlin flog sie aus der Regierung.
Nicht nur die politisch-kulturellen Spannungen zwischen Ost und West nahmen zu, auch Jung und Alt harmonieren nicht. Der Generationenwechsel von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi zu den Jüngeren ist seit zwei, drei Jahren geplant, kommt aber nicht zustande. Es scheint eine Wechselwirkung zu geben: Die beiden grossen Alten wollen nicht so recht gehen. Und die Jungen von Stefan Liebich bis Katja Kipping drängen nicht nach vorne, sondern bleiben lieber in der bequemeren zweiten Reihe sitzen, um von dort aus den Zustand der Partei zu beklagen. So kommt es, dass Oskar Lafontaine seit vielen Wochen sowohl als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2013 als auch für das Amt des Ko-Parteivorsitzenden im Gespräch ist. Nun will er sich nach langem Zögern und viel unwürdigem Hin und Her am Dienstag, nach Redaktionsschluss, erklären. Aber: Auch ein Lafontaine kann sich nicht nach Bedarf vom alternden Mann in einen strahlenden Hoffnungsträger verwandeln. Zumal seine einstige Autorität mit den Niederlagen im Westen schwindet und sich immer mehr Junge (und vor allem Ostdeutsche) von ihm gar nicht mehr retten lassen wollen.
Wie und ob es mit der Partei Die Linke weitergeht, entscheidet letztlich eine kleine Gruppe von SpitzenpolitikerInnen: Ändern sie sich und arbeiten sie künftig bei allem Zwist im Grundsatz loyal zusammen? Oder sehen sie wie bisher im jeweils anderen eine Gegnerin oder einen Gegner, den respektive die es zu bekämpfen gilt, sodass auch künftig Misstrauen, Abneigung, Sprachlosigkeit und Unverständnis herrschen? Es ist völlig offen, welche der beiden Tendenzen von den Niederlagen der letzten Wochen gestärkt wird.