TV-Serie «Wilder»: Die dunkle Seite des Dorfes

Nr. 44 –

Aus dem schneeverhangenen Himmel fliegt ein alter Wanderschuh Marke Raichle, in dem noch ein Wadenknochen steckt. Dass wir hier nicht in der quälend «heimeligen» Welt von «Landfrauenküche» oder «Donnschtig-Jass» sind, macht die neue Serie von SRF von Beginn weg brutal klar. Überhaupt haben die ersten Minuten von «Wilder» erzählerisch und visuell einen Drive, der den Sechsteiler auf europäisches Serienniveau hebt. Weder das Personal noch die Geschichte wird umständlich eingeführt oder zu Tode erklärt, Dialoge und Schweizerdeutsch klingen nicht wie hilflos aus dem Hochdeutschen übersetzt. Es geht um einen weit verzweigten Kriminalfall, der seinen Anfang irgendwie in einer alten Tragödie genommen hat, als der Schulbus unter einer Lawine begraben wurde. Zahlreiche Dorfkinder verloren damals ihr Leben und die Busfahrerin den Verstand.

Oft hat man sich in den letzten Jahren angesichts norwegischer oder isländischer TV-Serien gefragt, warum die Schweiz nichts Ähnliches zustande bringt: Natur, Berge und kantige RandregionenbewohnerInnen – eben nicht inszeniert als verknöchertes Heimatmuseum, sondern als kulissenmächtiger Hort gegenwärtiger Intrigen und menschlicher Abgründe. Ort und Setting von «Wilder» sollen uns vermutlich an Samih Sawiris und sein Luxusresort in Andermatt denken lassen. Überhaupt scheut man sich nicht, querbeet allerlei Vorbilder zu zitieren – von Atom Egoyans «The Sweet Hereafter» bis «Kommissarin Lund» –, und sogar ein wenig «Motel» steckt in «Wilder».

«Liebi IIheimischi, liebi Uswärtigi» – diese urschweizerischen, messerscharfen Unterscheidungen eines ganz normalen Alltagsrassismus werden hier stimmig in eine schmierige Rede des Gemeindepräsidenten geflochten, gefolgt von einem scheinheiligen «liebi iiheimischi Uswärtigi», um sich beim finanzstarken Investor anzubiedern. In solchen Momenten sind wir ganz nah dran «bi de Lüt» – aber eben nicht mit inszenierter Dorfplatzromantik, sondern mit einem Einblick ins abstossend kalte Herz der Schweiz.

«Wilder». Regie: Pierre Monnard. Ab Dienstag, 7. November 2017, um 20.05 Uhr auf SRF 1.