Sawiris-Projekt am Urnersee: Fünfzig Hektaren Streit

Nr. 46 –

Auf einem stillgelegten Industrieareal am Urnersee plant Samih Sawiris ein Ferienresort. Eine Initiative der Grünen will das verhindern. Doch die SP lässt ihre Schwesterpartei im Stich.

Samih Sawiris und Isidor Baumann im März bei der Vorstellung des Isleten-Projekts
Ein wuchtiges Luxusresort mit Bootshafen, Hotels, Apartments: Samih Sawiris und seine rechte Hand Isidor Baumann im März bei der Vorstellung des Isleten-Projekts. Foto: Urs Flüeler, Keystone

Das Auffälligste ist die licht bewaldete Kiesbank, die hier in den Urnersee ragt – ein kleiner Strand. Abgesehen vom spärlichen Autoverkehr ist es still, das Wasser tiefblau. Vom Ufer schweift der Blick unweigerlich über den See, klebt sich an die schroffe Felswand des Axen. Darunter liegt Flüelen, in der Ferne Altdorf. Die Kiesbank ist die Spitze eines Deltas, das der Isitalerbach über die Jahrhunderte geschaffen hat, eine Halbinsel ist es geworden, Isleten heisst sie.

Man kann mit dem Auto hierherkommen, auf dem Parkplatz vis-à-vis einem Strandkiosk parkieren, ein paar Meter der Strasse folgen, zum Ufer hinuntersteigen und ins flache Gewässer hinausschwimmen. Man kann auch mit dem Schiff anreisen, ein paar Meter nördlich der Kiesbank liegt eine Station. Flüelen–Isleten–Luzern, bis in den Herbst kreuzt jede volle Stunde ein Kursschiff durch den südlichen Zipfel des Vierwaldstättersees. Oft weht ein starker Wind um die Felskanten, der Ort ist beliebt bei Surfer:innen.

Die Halbinsel ist nicht nur diese Kiesbank, sie ist vor allem ein rund fünfzig Hektaren grosses stillgelegtes Industriegelände: Zäune sperren eine ausgedehnte Wiese ab, zu sehen sind Bäume, ein temporärer Campingplatz, der seit der Pandemie Tourist:innen beherbergt, ein alter Industriekamin, eine Handvoll Gebäude, eine freistehende Villa, die Fensterläden geschlossen. Einst florierte hier die Sprengstoffindustrie, jetzt sind die Magazine leer. Wahrscheinlich wissen alle, die diesen Flecken kennen, um die Idylle, die er ist. Oder je nach Perspektive: das Geschäft, das er sein könnte.

Sawiris Trotz

Seit im November 2021 bekannt wurde, dass der Investor Samih Sawiris das Areal von der Firma Cheddite gekauft hat, die einst die Fabrik betrieb, liegt auf der Isleten kein Stein mehr auf dem anderen. Natürlich auch wegen der aufgeladenen Personalie: Für die einen ist Sawiris ein Wohltäter, der den Kanton und Andermatt in einer wirtschaftlich schweren Zeit mit seinem Luxusresort «The Chedi» aus der Krise holte. Für die anderen bleibt er der Investor, der sich zuallererst für die Rendite interessiert, die er mit seinen Bauprojekten erzielen kann, oder seine Apartments an Briefkastenfirmen verkauft.

Geht es nach Sawiris, soll am See eine «Marina» entstehen, so nannte er die Projektidee. Die ersten Visualisierungen zeigten ein wuchtiges Luxusresort; Jachthafen, Hotels, Apartments. Nach heftigem Widerstand veröffentlichte Sawiris einen neuen Entwurf: Geplant sind nun fünf Gebäude mit insgesamt 150 Hotelzimmern, Apartments und Wohnungen, sieben Bungalows und eine neu auszubaggernde Hafenbucht mit 50 Bootsplätzen. Dazu sieht die Idee eine Verlegung der Strasse weg vom Ufer vor sowie eine Verschiebung der Isleter Schiffsstation.

Ein blosses Manöver sei das mit der von der Projektleitung so genannten «Redimensionierung» gewesen, werfen ihm die Kritiker:innen vor: Einmal geklotzt, wirke jedes kleinere Projekt vernünftig. Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, schrieb 2022 in einer gepfefferten Medienmitteilung, man sei enttäuscht, dass Sawiris überhaupt noch an seiner Idee festhalte. Das Tourismusresort wirke wie ein «exotisches Implantat» in der «hochgradig geschützten Landschaft Isleten». Die kantonale Sektion der Grünen lancierte im Sommer 2023 eine Volksinitiative, Ende Monat ist die Abstimmung.

Unzählige Medienberichte wurden inzwischen über den Streit um die Isleten geschrieben. Die «SonntagsZeitung» arbeitete in mehreren Artikeln das Beziehungsnetz des Investors auf, das nach Bundesbern reicht, und zeichnete nach, wie schon sein Bauvorhaben in Andermatt von der ehemaligen Urner Justizdirektorin und heutigen Mitte-Ständerätin Heidi Z’graggen gefördert wurde – Z’graggen, die auch einst die Fusion der Gemeinden Bauen und Seedorf angestossen hatte, ohne die es gar nicht erlaubt wäre, mehr Zweitwohnungen auf dem Areal zu bauen, weil der Schnitt in der kleinen Gemeinde Bauen, auf deren Boden die Isleten liegt, schon erreicht ist. Im Herbst sprach sich der Urner Landrat geschlossen gegen die Initiative aus.

Sawiris selber versicherte in einem Interview mit der NZZ, er wolle nichts durchsetzen, was die Bevölkerung nicht wolle. Würden sich die Urner:innen gegen sein Projekt auf der Isleten aussprechen, so errichte er dort halt Wohnungen für seine Kinder.

Landschaftliche Schutzzone

An einem warmen Herbsttag steht Eveline Lüönd neben ihrem Fahrrad am Ufer des Sees auf der Isleten, blickt auf das Areal der ehemaligen Sprengstofffabrik und sagt: «Auch wir wollen, dass hier etwas passiert.» Lüönd, aufgewachsen in Schattdorf, passionierte Bergsteigerin, arbeitet im Bereich der Gesundheitsförderung und belebte vor ein paar Jahren die kantonale Sektion der Grünen wieder, die sie nun präsidiert. Unter ihrer Federführung lancierte die Partei die Initiative «Isleten für alle». Die Initiative will eine sanfte Entwicklung des Areals gesetzlich verankern, etwa zur Umnutzung bestehender Gebäude verpflichten, neue Bootshäfen, Hotels und Apartments verhindern, alte Baumgruppen schützen und das Ufer bewahren.

Die Region um den Urnersee inklusive der Isleten steht im Bundesinventar der schützenswerten Landschaften. Doch mit der Ausarbeitung von entsprechenden Schutzreglementen hinkt der Kanton hinterher. «Wäre das gemacht worden, wäre dieses Projekt überhaupt kein Thema», sagt Lüönd. Es bedeute einen zu starken Eingriff in die Landschaft, zudem müsse die Industriegeschichte erhalten bleiben. Die Initiant:innen befürchten, allein mit der Projektidee habe man Begehrlichkeiten geschaffen – an die die kantonalen Grundlagen und Reglemente dann angepasst würden.

Als Lüönd am Ufer der Isleten steht, dauert es bis zur Abstimmung noch ein paar Wochen, die Politikerin zeigt sich zuversichtlich, die Chancen stünden «fifty-fifty». Die Urner:innen seien bodenständige Leute, vielleicht bewege sie das dazu, zu diesem «überrissenen Projekt» Nein zu sagen.

Dynamit am Gotthard

Will man etwas über die Geschichte dieses Geländes erfahren, kann man Hansjakob Burkhardt fragen. Burkhardt, pensionierter Bauingenieur, lädt zum Gespräch in Meggen, auf der anderen Seite des Vierwaldstättersees. Reisen haben den 88-Jährigen und seine Frau um die halbe Welt geführt, sein Beruf ihn auf kleine und grosse Baustellen wie den Autobahnanschluss Göschenen – «immer im Radio, weil immer gesperrt». Und sein Flair für Lokalgeschichte brachte ihn dazu, mehrere Bücher zu schreiben, sie liegen alle auf dem Tisch vor ihm, eine dicke Chronik über sein Leben ist darunter und eines, wohl so was wie sein Hauptwerk, über «die Sprengstoffgeschichte der Schweiz am Beispiel von Isleten». «Dynamit am Gotthard» heisst das Buch, «eine Trouvaille», sagt Burkhardt.

Burkhardt ist der Sohn des einstigen Cheddite-Direktors, 27 Jahre lang lebte er in der Direktionsvilla auf der Isleten, er kenne die Halbinsel «wie min Hosesagg». Wie das gewesen sei? «Es war das Paradies», sagt Burkhardt. Tag für Tag fuhr er mit dem Kursschiff zur Schule, die Strasse von Altdorf her wurde erst gebaut, da war Burkhardt bereits 15 Jahre alt.

Jahrzehntelang wurde auf der Isleten Sprengstoff hergestellt, für den Tunnelbau etwa. Arbeiter:innen kamen und gingen mit dem Schiff, nur wenige wohnten dort. Ab den Achtzigern ging die Nachfrage nach dem Urner Sprengstoff zurück, weil die Industrie nach anderen Techniken verlangte. Die Isleten wurde zum Geisterort, am Ende arbeiteten nur noch wenige Personen in der Produktion von Nitroglyzerin für medizinische Zwecke, Anfang der nuller Jahre stellte Cheddite auch diese ein. Für Burkhardt ist es ein «absoluter, einmaliger Glücksfall», dass Sawiris das Areal gekauft hat. In seiner jetzigen Form sei das Projekt vertretbar und erfülle «in allen Belangen die ideelle Nutzung des Areals».

Der, der das Ganze ins Werk setzen soll, Sawiris’ rechte Hand, wie es heisst, ist Isidor Baumann. In Uri kennen den ehemaligen Regierungsrat (CVP) und früheren Ständerat wohl alle, den «Buume». Man hätte schon lange etwas auf diesem Areal machen können, sagt Baumann am Telefon, seit vielen Jahren liege das brach. Nur habe das niemand getan. Nun wolle die Initiative «ein Spezialgesetz» schaffen, obwohl das Projekt sowieso noch durch das ordentliche Verfahren laufen müsse: Richtplananpassungen, Zonenänderung, Begutachtung durch das Bundesamt für Raumentwicklung, Mitberichte von weiteren Bundesämtern wie der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission oder dem Bundesamt für Umwelt, Quartiergestaltungsplan, Verkehrskonzept – Baumann zählt auf, beschwichtigt: Überall gebe es noch Einsprachemöglichkeiten, für die Bevölkerung, für Verbände, für NGOs. «Wenn es sich die Gegner:innen zur Lebensaufgabe machen, das Projekt zu verhindern, kann es noch Jahre dauern. Aber dann sagt der Investor vielleicht auch irgendwann: Ich ziehe weiter.»

Ein Investor, fügt Baumann an – und es wirkt wie eine Drohung und eine Festrede zugleich –, ein Investor, der «einen grossen Beitrag zur hohen Auslastung unserer KMU» geleistet, weit über tausend Arbeitsplätze geschaffen, eine Milliarde Franken in den Kanton investiert habe, einer, dem damit auch die tiefe Arbeitslosigkeit zu verdanken sei.

Uri, das ist der Gotthardbahnbau, Wasserkraft, die Neat, die Armee: eine Welt der grossen Bauprojekte, die Welt der Standortentwicklung, der Investoren, Mäzen:innen und Firmenpatrons. Eine Welt der ordentlichen Verfahren und stabilen Seilschaften zwischen Wirtschaft und Politik.

Wem gehört der Raum?

Baumanns Drohung ist die Hoffnung von Lüönd und ihren Mitstreiter:innen: dass es Sawiris irgendwann zu doof wird, dass er aufgibt. Doch die Abstimmung dürfte schwierig zu gewinnen sein, inzwischen hat die SP zur Enttäuschung der Grünen Stimmfreigabe beschlossen – die Initiative sei falsch aufgegleist worden, strategisch sei sie ein Fehler, so die Begründung. Andere vermuten, die SP sei nur beleidigt, dass die Grünen allein etwas durchgezogen hätten.

Eveline Lüönd wiederum sagt am Telefon kurz vor der Abstimmung, sie habe den Eindruck, die Gegenstimmen würden immer leiser, die Leute würden sich gar nicht mehr getrauen, etwas Kritisches zu sagen – angesichts der «geballten Urner Macht», die sich hinter das Projekt geschart habe. Inzwischen haben die Grünen eine Abstimmungsbeschwerde eingereicht, sie werfen der Regierung vor, einseitig informiert und Falschbehauptungen über die Initiative verbreitet zu haben.

Längst geht es im Streit um die Isleten um viel mehr als die Halbinsel am Urnersee: darum, wer über den Raum bestimmen darf. Und um die vielleicht heiligste aller heiligen Schweizer Kühe: wem dieser eigentlich gehört.