Tofuproduktion: Sojabohnenschlachterei

Nr. 46 –

Das Geschäft mit Fleischalternativen boomt. Die Tofurei Engel stellt seit 36 Jahren Tofu her. Wie haben Konkurrenzdruck und Vegi-Hype das Kollektiv verändert?

Tofumeisterin Melanie Pineda verpackt das fertige Produkt.

Angefangen hatte alles in einer Waschküche. 1981, als in der Schweiz noch praktisch niemand wusste, was Tofu überhaupt ist, las Gernot Schneider ein Buch über die Tofuherstellung und war begeistert: «So kann man Eiweiss auf ganz einfache Art und Weise gewinnen. Es ist nicht so brutal wie in den Schlachthäusern, und es entsteht praktisch kein Abfall.» Schneider hatte eine Waschküche, sein Freund Hansruedi Oppliger einen Mixer. Gemeinsam mit einer Bekannten, die Tofu bereits aus Japan kannte, und zwei weiteren jungen Leuten aus Zürich gründeten die beiden eine kleine Genossenschaft. Fünf Kilo Tofu produzierten sie pro Woche – neben ihrer Brotarbeit.

Inzwischen hat die Tofurei Engel die Waschküche längst verlassen. Gut ein Jahr nach der Gründung zogen sie in eine ehemalige Metzgerei im Keller der Kollektivbeiz Engel in Ottenbach; dann in eine ehemalige Milchsammelstelle im Zürcher Zwillikon. Nun, im August dieses Jahres, ist die Tofurei Engel abermals umgezogen. Die neue Produktionsstätte ist modern, ökologisch gebaut und liegt mit angrenzendem Biolädeli im aargauischen Widen.

Hier kommt eine der besten Tofusorten her. Kein Nachgeschmack nach Karton. Kein Herumbeissen auf Brocken, die so zäh sind wie Kautschuk. Die Produkte der Genossenschaft Engel sind luftig-weich, dafür aber teuer. Im Erdgeschoss der Tofurei hantieren ein halbes Dutzend junge Leute. Schicke Räume mit Arbeitsflächen aus glänzendem Chromstahl. Es ist eine alternative Truppe, ein paar tragen Dreadlocks, einige Tattoos, wieder andere nichts von beidem. Sechzehn Personen verdienen hier ihren Lebensunterhalt, wobei sie sich acht Vollzeitstellen teilen. Der Lohn: 22.50 Franken die Stunde.

Die weissen Gummistiefel reichen der jungen Mitarbeiterin mit Locken und Nasenpiercing bis zum Knie. Energisch schöpft sie mit einer grossen Kelle Molke ab. Die Molke spritzt auf die weisse Plastikschürze, breitet sich auf dem Boden aus und rinnt in den Abfluss. Im Topf zurück bleibt das Sojaeiweiss, das in eine quadratische Form gepresst und anschliessend mit einem langen Messer in gleichmässige Blöcke geschnitten wird. Die Handgriffe sitzen, die Bewegungen sind routiniert. Die Tofuscheiben kühlen im Wasser aus, bevor sie an der nächsten Station in Plastik eingeschweisst werden.

Das Nigari trennt, die Molke spritzt, die Sojamilchproteine gerinnen, der Tofu wird gepresst und zum Teil geräuchert.

Die getrockneten Sojabohnen sind biozertifiziert und stammen aus Norditalien. In Widen werden sie über Nacht in Wasser eingeweicht. Morgens um sechs beginnt die erste Schicht. Dann werden die Sojabohnen püriert und aufgekocht – traditionell, ohne Dampfkochtopf. Anschliessend wird das Püree gesiebt, damit sich die Faserstoffe der Sojabohne von der Sojamilch trennen. Dann, ähnlich wie bei der Herstellung von Käse, wird der Sojamilch ein Gerinnungsmittel beigefügt, damit sich die Molke von den Proteinen scheidet. Die Tofurei verwendet dafür Nigari, einen Bestandteil des Meersalzes, nach traditionell japanischer Methode. Um acht kommen alle anderen MitarbeiterInnen. Der Tofu wird gepresst, geschnitten, je nach Geschmacksrichtung im Ofen geräuchert, verpackt und gekühlt.

Traditionelles Handwerk

Pro Tag verarbeitet der Engel acht «Batches» – so werden hier die Säcke mit Sojabohnen genannt. Getrocknet wiegen sie rund 15 Kilo, gequellt um die 35 Kilo. «Die Tofurei ist keine Fabrik. Vielmehr sind wir ein traditioneller Handwerksbetrieb in der Lebensmittelbranche», sagt Noemi Kündig. Sie sitzt während der Mittagspause gemeinsam mit dem 64-jährigen Paul Rippstein, der seit den neunziger Jahren dabei ist, in der Sonne vor dem Neubau. Die beiden sind Teil der dreiköpfigen Geschäftsleitung. «Je nachdem, wer das Produzieren übernimmt, wird der Tofu etwas anders», erzählt Kündig. Das hänge von individuellen Entscheidungen und dem Gespür ab. Etwa davon, wie lange man die pürierten Sojabohnen genau kochen lässt oder wann man das geronnene Sojaeiweiss von der Molke trennt.

Die Tofuherstellung ähnelt zwar der von Käse, dennoch gibt es für das Handwerk in der Schweiz bislang keine offizielle Ausbildung. Die Lebensentwürfe der mehrheitlich jungen MitarbeiterInnen in der Tofurei Engel sind dementsprechend unterschiedlich. Einige haben eine handwerkliche Berufslehre gemacht, andere das KV, ein paar hatten vorher gar keine Ausbildung. Wieder andere kommen aus der Gastronomiebranche oder sind StudentInnen. Kündig etwa ist Germanistin und Historikerin und hat bereits während ihres Studiums in der Tofurei gearbeitet.

«Für diese Arbeit braucht es praktische Intelligenz und eine bestimmte körperliche Kraft», sagt Kündig. Vor allem aber gehe es um die Bereitschaft, Dinge zu lernen und mitzudenken. Betriebsentscheidungen werden gemeinsam an den Teamsitzungen einmal im Monat getroffen – basisdemokratisch und mit Kompromisslösungen. «Das Wichtige sind die Qualität, das Handwerk und die Selbstverwaltung», fügt Rippstein hinzu. Ein gewisses Mass an Idealismus schwingt nach wie vor mit. Kündig lebt seit neun Jahren vegan. Viele aus dem Kollektiv ernähren sich vegan oder vegetarisch.

Die 31-jährige Kündig hat Anfang des Jahres von der Produktion in die Geschäftsleitung gewechselt. Seitdem gehört es zu ihren Aufgaben – gemeinsam mit den anderen Geschäftsleitern –, jeweils die Toiletten zu putzen. Das ist die Abmachung, quasi als Korrektiv zu den hierarchischen Strukturen. «Ich will keine Geschäftsführung, die das Sagen hat», sagt Kündig. «Das interessiert mich nicht. Ich halte das auch wirtschaftlich für Schwachsinn. Schliesslich kennt die Produktion die Arbeitsschritte viel besser, sie bekommt sie ja tagtäglich mit.»

In den Statuten heisst es: «Es soll jegliche Ausbeutung menschlicher, ökonomischer und ökologischer Art vermieden werden.» Geht das? Gar keine Ausbeutung – inmitten von Konkurrenzdruck und marktwirtschaftlichen Zwängen? «Das ist selbstverständlich ein Ideal», sagt Kündig. Natürlich produziere die Tofurei einen gewissen Mehrwert, was nach marxistischer Theorie einer bestimmten Form von ökonomischer Ausbeutung gleichkomme. Schliesslich brauche der Betrieb Geld auf der Seite, um die Infrastruktur zu unterhalten. «Aber es gibt kein Management und keine Aktionäre, die die Gewinne einfach abschöpfen», fügt sie hinzu. «Niemand macht mit uns Profit!» Überschüsse würden direkt in neue Geräte investiert, die die Arbeit vereinfachten, oder in höhere Löhne.

Umsatz verdoppelt

Paul Rippstein hat die schwierigeren Zeiten des Betriebs miterlebt. Vor sechs Jahren, als die Löhne gekürzt werden mussten. «Da herrschte zwar weniger Konkurrenzdruck, dafür kannten viele Leute das Produkt noch gar nicht.» Das hat sich nun geändert. Seither konnten sie Personal, Produktmenge und Umsatz verdoppeln – durch die viele Handarbeit entwickelt sich das Wachstum des Betriebs synchron und proportional. Dies stellt das Kollektiv nun vor neue Herausforderungen. So gestalte sich etwa der Informationsfluss mit doppelt so vielen MitarbeiterInnen schwieriger.

Momentan lässt sich ein regelrechter Hype um vegetarische und vegane Alternativen zu Fleisch feststellen (vgl. «Vegi-Hype» im Anschluss an diesen Text). Die grossen Supermarktketten sind längst auf den Vegi-Trend aufgesprungen. Die Tofubranche hat ihr Nischendasein verlassen und ist in der Massenproduktion angekommen. So hat etwa die Migros seit 2015 das vegetarisch-vegane Sortiment um 63 Prozent ausgebaut und stellt im Milchverarbeitungsbetrieb Elsa eigenes Tofu her. Coop hat 2013 die «Karma»-Linie lanciert und produziert seit September 2016 eine eigene Tofumarke – zum Umsatz wolle man «aus Konkurrenzgründen» nichts sagen.

Wie viel Umsatz die Tofurei Engel macht, verrät das Kollektiv ebenfalls nicht. Die Genossenschaft produziert 160 Kilo Tofu pro Tag, das sind 800 Kilo pro Woche. Zum Vergleich: Die deutsche Tofufirma Taifun lässt in Freiburg 70 Tonnen Tofu pro Woche herstellen und beschäftigt zehnmal mehr Angestellte als die Tofurei in Widen. Trotzdem habe sich die Tofurei Engel gut positioniert, sagt Kündig. Kunden sind vegetarische Gourmetrestaurants und der Schweizer Grosshändler Bio-Partner, der zahlreiche Bioläden beliefert.

So bezieht etwa «Der Bioladen» in Zürich Altstetten seit 25 Jahren Tofu von der Tofurei Engel. Auch sie spürten seit drei, vier Jahren den Vegi-Hype und die wachsende Konkurrenz, sagt dessen Geschäftsleiter Pierre Moser. Obwohl es mittlerweile günstigere Tofulinien gibt, will Moser den Engel-Tofu im Sortiment behalten: «Das ist eine ganz andere Qualität als das, was Grossverteiler zu tiefen Preisen auf den Markt werfen.»

Die Tofurei Engel ist bei der Selbstverwaltung geblieben. «Als wir in der Waschküche anfingen, berechneten wir uns fünf Franken pro Stunde als Lohn und schrieben diese Stunden auf», erzählt Gernot Schneider. Dadurch besitzt er heute Genossenschaftsanteilscheine. «So bin ich immer noch dabei, wenn auch im Hintergrund», sagt der 73-Jährige. «Mit der Genossenschaftsidee lebt in der Tofurei derselbe Geist wie früher weiter. Die Jungen können inzwischen das machen, was wir uns immer gewünscht hatten.»

Vegi-Hype

Jede siebte Person in der Schweiz verzichtet mittlerweile auf Fleisch, dies besagt eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Vereins Swissveg. Elf Prozent der Bevölkerung ernähren sich demnach vegetarisch sowie drei Prozent vegan. Als Hauptbeweggründe werden das Tierwohl sowie ethische, ökologische und gesundheitliche Gründe angegeben. Der Trend hin zur fleischlosen Ernährung sei seit etwa zehn Jahren zu beobachten, sagt Swissveg-Sprecherin Danielle Cotten. Statistisch gesehen essen insbesondere viele Frauen und viele StädterInnen vegetarisch oder vegan.