Netzpolitik: Der Nazifrosch macht «Reeeeeee!»
Wie Ironie den Hass massentauglich macht: Internet-Memes sind zur Universalwährung für Provokation geworden – und zur Streuwaffe im Kulturkampf der Rechten.
Irgendwann kritzelt einer der Achtzehnjährigen, die ich unterrichte, «Reeeeeee!» an die Wandtafel. Nach einem kurzen Gespräch mit Siri weiss ich: Das ist der Schlachtruf eines Nazifrosches.
Die Comicfigur Pepe the Frog hat im vergangenen Jahr einige mediale Aufmerksamkeit erlangt – sehr zum Leidwesen ihres Schöpfers Matt Furie. Im Netz wurde der harmlose Cartoonfrosch nämlich in fleissiger Bearbeitung und Verbreitung nach und nach in ein rechtsextremes Maskottchen verwandelt. Gibt man den Namen bei Google ein, erscheint Pepe sofort in Hakenkreuz-T-Shirts, mit Hitler-Schnauz oder als SS-Offizier. Die Anti-Defamation League setzte Pepe im Herbst 2016 auf die Liste von «Hate Symbols», mit denen man eine rechte Gesinnung demonstriere. Seit dem Trump-Wahlkampf ist Pepe für die extreme Rechte in den USA zum Bekenntnis-Meme par excellence geworden. Bloss, wie spült es so etwas in meine Schulstube?
«Feminismus ist Krebs»
Internet-Memes (vgl. «Was sind Memes?» im Anschluss an diesen Text) können grundsätzlich in jede politische Richtung gedreht werden. Die Inhalte, die sie vermitteln, hängen von der jeweiligen Bearbeitung ab. Und Memes transportieren durchaus auch politisch relevante Inhalte: Als ich mit besagter Klasse eine Rede von Joseph Goebbels besprach und sie fragte, ob ihnen aktuelle Beispiele solcher Formen hasserfüllter Rhetorik einfielen, kam die ernst gemeinte Antwort: «Feminazis». Ein typisches Exemplar für eine solche totalitäre Feministin war für sie «Trigglypuff»: Die Schüler zeigten mir das Video einer Aktivistin, die zeternd eine Podiumsdiskussion am Hampshire College störte. Aufgenommen wurde das Video an einer Veranstaltung zur Frage, ob die Sache mit der Political Correctness zu weit gegangen sei. Milo Yiannopoulos, Kolumnist bei «Breitbart» und damals noch Posterboy der Trump-Kampagne, hielt dort eine ultrakurze «Rede» mit dem knappen Wortlaut: «Feminism is cancer» (Feminismus ist Krebs). Tags darauf wurde das Video von seiner Gefolgschaft in zigfachen Variationen zu einer kurzlebigen Ikone des Antifeminismus gemacht – bis es schliesslich auf den Laptops in meinem Schulzimmer landete.
Trigglypuff war nur ein Meme von vielen, die meine Schüler davon überzeugten, dass Feministinnen eine nicht nur lächerliche, sondern zudem auch gefährliche Truppe seien, die grundlos das Recht der freien Rede angriffen und deswegen auch mit dem NS-Propagandaminister auf eine Ebene zu stellen seien. Gleichzeitig dienten sie ihnen als Wegweiser zu Youtube-Videos, in denen dann irgendein Alt-Right-Vertreter erklärt, warum die Behauptung, dass Frauen bei der Arbeit immer noch schlechter bezahlt werden als Männer, eine linke Verschwörungstheorie sei.
Willkommen im Nazikeller
Als ich meine Schüler bei Zusicherung von freiem Geleit bat, ihre digitalen Hosensäcke auf den Tisch zu leeren, kamen – neben vielen brauchbaren Witzen – auch horrende Dinge zum Vorschein: höhnische Zoten über Anne Frank und den Holocaust, das antisemitische «Happy Merchant»-Meme, etliche Gleichsetzungen von Dunkelhäutigen mit Affen – es war ein wenig, als hätte ich einen Nazikeller in der österreichischen Provinz ausgehoben. Interessanterweise distanzierten sich alle sofort davon: Die Inhalte teile man eigentlich gar nicht, es gehe primär darum, Dinge zu posten, die «zu weit gehen». Denn das sei doch Humor: Regeln zu brechen, Grenzen zu überschreiten. Fehlte nur noch, dass einer Tucholsky zitierte. Sie waren offensichtlich fasziniert von der Provokation mit ultrabrutalen Inhalten, von Dingen, «die man nicht sagen darf» – und zwar nicht einfach im Sinne von unanständig, sondern schlichtweg menschenverachtend. Das macht sie nicht gleich zu Nazis – bringt sie auf dem Netz aber in deren Dunstkreis.
Die Journalistin Angela Nagle untersucht diesen Stil der Überschreitung in ihrem kürzlich erschienenen Buch «Kill All Normies». Der Zeitraum, dem sie sich widmet, umfasst in etwa Barack Obamas zweite Amtszeit bis kurz nach der Wahl Donald Trumps – es ist ein Versuch, der rasenden Internetgeschichte der «Online Culture Wars» schreibend hinterherzukommen. Bisweilen ist Nagles Buch eine Anthropologie bizarrer maskulinistischer Stämme im Netz, die weibliche Exponentinnen der Game-Kultur online fertigmachen oder mit autarkem Onanieren der Kontrolle des Feminismus zu entkommen versuchen.
Das Buch ist aber auch ein Sargnagel für die Überzeugung, das Karnevaleske, die Provokation seien rein linke oder zumindest zwangsläufig emanzipatorische Triebkräfte. Der Stil der provokativen Überschreitung ermöglicht es der Netzrechten, sich als Gegenkultur zu gebärden und gleichzeitig konservativen bis rechtsextremen Inhalten der Culture Wars einen attraktiven Spin zu geben.
In der Höhle der Trolls
Ein zentraler Ort für die Entwicklung und Verbreitung dieses Humors war das Imageboard «4chan»: Hier werden Bilder, Videos et cetera anonym hochgeladen und diskutiert – ein höchst produktiver Meme-Hub, in dem es kaum Grenzen gibt. Die Hackergruppe Anonymous hat hier ihren Ursprung, auch die Occupy-Proteste wurden von hier aus unterstützt. Heute steht aber insbesondere die 2012 gegründete Sektion «/pol/» im Fokus. Hier geht es primär darum, möglichst krass und «politisch inkorrekt» über linksliberale GerechtigkeitskämpferInnen zu spotten: eine Höhle voller Trolls, die regelmässig auch als «das Arschloch des Internets» bezeichnet wird – auch Nazi-Pepe und Trigglypuff haben ihre Karrieren hier gestartet.
Motiviert vom Phantasma einer angeblich erdrückenden Political Correctness wird hier von Hardcorepornos über Leichenbilder bis zum Abfeiern von Amokläufern alles zum gelungenen Scherz erhoben. Dass dieser Humor in seiner politischen Form nicht nur bei renitenten Teenagern ankommt, zeigt sich, wenn etwa das Newsportal «Watson», wie letztes Jahr geschehen, «böse» Memes seiner UserInnen sammelt – und wenn die Hälfte davon nahelegt, dass Schwarze alle Ebola haben oder Autos stehlen und Araber Sex mit Kamelen haben.
Hetzende alte Männer und Teenagertrolls, die Shit posten, kamen sich mit ihrer Haltung wohl selten in der Geschichte so nah. Aber trieben die Punks nicht schon Ende der siebziger Jahre ähnlich provokative Symbolspielchen, als sie mit Hakenkreuzshirts rumliefen? Das mag zwar sein. Doch wenn man auf Sid Vicious’ Bauchnabel drückte, landete man damals nicht auf einer Naziwebsite.
David Eugster ist Historiker, Kulturwissenschaftler und Gymnasiallehrer.
Angela Nagle: «Kill All Normies. Online Culture Wars from 4chan and Tumblr to Trump and the Alt-Right». Zero Books. London 2017. 136 Seiten. Ca. 20 Franken.
Begriffsgeschichte : Was sind Memes?
Als Memes werden alle möglichen Kulturelemente wie Videos, Bilder, Sätze, Wörter, Gesten verstanden, die online kursieren und laufend verändert werden. Ein auf Youtube milliardenfach angesehenes Video ist deswegen noch kein Meme – erst wenn es in den kollektiven Bearbeitungsprozess eingesogen wird, wenn Versionen davon erstellt oder Dinge daraus kopiert werden, kann man von einem Meme sprechen. So können auch Tanzstile zu Memes werden, wie der «Gangnam Style» des koreanischen Popstars Psy, der vor fünf Jahren auf der ganzen Welt imitiert wurde.
Ein Meme ist der Definition nach nie allein: Verschiedene Varianten davon zirkulieren in Schwärmen im Netz, und noch die feinsten Insidergags finden ganze Heerscharen von BearbeiterInnen. Einen Überblick über die Masse der Produktion schafft die Internet-Enzyklopädie «Know Your Meme»: Hier findet man die sorgfältig aufgearbeitete Geschichte für Tausende Memes, ihre Ursprünge, Variationen und ihre Verbreitung.
Das Wort «Mem» geht auf den Biologen Richard Dawkins zurück. In seinem Buch «Das egoistische Gen» übertrug er die Evolutionstheorie auf kulturellen Wandel und behauptete, kulturelle Einheiten (Meme) würden wie Gene von Generation zu Generation weitergegeben. Doch während Gene auf Fortpflanzung aus sind, kämpfen Meme laut Dawkins um die Aufmerksamkeit neuer Träger. Dawkins’ Begriff wurde im Zeitalter der sozialen Medien interessant, weil er auf die schrittweise Imitation über zwischenmenschliche Kontakte fokussiert und nicht auf die Weitergabe von Inhalten über wenige massenmediale Kanäle wie Zeitungen und Fernsehsender.
Als Leihgut aus darwinistischen Sphären erinnert der Begriff aber zudem daran, dass Kultur auch im 21. Jahrhundert nicht nur ein bunter Kreativitätsworkshop ist, sondern dass es immer auch um einen Kampf um Ideen geht.
David Eugster