Von oben herab: Im Weiteren

Nr. 47 –

Stefan Gärtner über geknetete Köpfe

Der Freund und Kollege hatte die Pilze noch «übrig gehabt», er wisse gar nicht, ob sie noch wirkten, er glaube eher nicht, sie seien zu alt; und also nahmen wir an diesem frühen Februarabend vor vielleicht fünfzehn Jahren jeder eine Handvoll und beschlossen, in jeder Beiz auf dem Weg eine Stange zu nehmen und im Weiteren zu sehen, was passiert.

Es passierte im Weiteren nicht allzu viel, ausser dass wir neun Stunden durchs kalte Frankfurt liefen, in Kneipen gingen und im Klospiegel unsere riesigen Pupillen bewunderten, einen Hügel hochstiegen und später im Imax-Kino landeten, wo wir uns einen Dinosaurierfilm in 3-D anschauten, um schliesslich sensationsgesättigt den Heimweg anzutreten. Ob das alles nun bewusstseinserweiternd war, ich weiss es nicht; immerhin schienen wir unser Zeitgefühl verloren zu haben, was an einem kalten Februarabend doppelt wiegen mag, und eine ziemlich lange Weile ist uns ziemlich viel sowohl egal als auch nicht egal gewesen, und da kann man vielleicht schon finden, dass das von einem erweiterten Bewusstsein zeuge.

In Bern haben sie jetzt den sogenannten Pilz-Pastor zu achtzehn Monaten bedingt verurteilt, «wegen gewerbsmässigen Handels mit verbotenen psychoaktiven Pilzen (…). Der gebürtige Deutsche sah sich als Missionar des bewusstseinserweiternden Pilzkonsums» (20min.ch). In einem abgelegenen Gasthaus, das als «Hexenhotel» fungierte, vertrieb der Pilz-Pastor und Familienvater seine Pilze, was bis 2001 in der Schweiz völlig legal war. Danach aber nicht mehr, 2006 folgte die Festnahme. «Die Verteidigung brandmarkte das Verfahren am Mittwoch vor Gericht als Justizskandal. Ganze vierzehn Monate habe man seinen Mandanten in Untersuchungshaft schmoren lassen, obwohl weder Fluchtgefahr bestanden noch der Mann Dinge verheimlicht habe. Sein Mandant habe nie ein Geheimnis um seine Kirche, seine Mission und seinen Handel mit berauschenden Pilzen gemacht, sagte Anwalt Kurt Mäder. Alles sei transparent gewesen, akribisch festgehalten in einer Buchhaltung. Sogar Mehrwertsteuern habe der Mann für jeden noch so kleinen Betrag gezahlt. In Rage geredet und den Tränen nahe, bezeichnete Mäder die 429 Tage im Gefängnis als ‹klassische Beugehaft›. Doch damit nicht genug. Ganze elf Jahre dauerten die Ermittlungen. Der Angeklagte habe alles verloren, seine Kirche, seine Firmen, seine Existenz. Und dies alles wegen eines Verfahrens, das keinen Nachweis auf strafbare Handlungen erbringe.»

Oder, wenn man der Verteidigung es bitzeli weniger weit folgen will, auf strafbare Handlungen, von denen man nicht so genau weiss, warum sie strafbar sein müssen, will man nicht den alten Klischeeverdacht beleben, wonach der staatlichen Ordnung an nichts weniger gelegen ist als an ausgerechnet Bewusstseinserweiterung. «Die richtige Dosis Politik – wie aus Kindern Wähler werden» avisiert meine Morgenzeitung einen Bericht über politischen Unterricht an der Schule, und zwar durchaus unsarkastisch; denn das soll nun mal aus Kindern werden: Kundschaft, die aus (mindestens formal) unterschiedlichen Angeboten das je passende herauszusuchen in der Lage ist. Den Rest erledigt die Bewusstseinsindustrie – und um sie als allein massgebliche Kopfknetinstanz zu bewahren, muss ein Pilz-Pastor kriminalisiert und ruiniert werden. Damit irgendwer an einem kalten Novemberabend bloss Netflix sehen kann; und nicht mehr, was passiert, wenn man mal nicht weiss, was passiert.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.