Durch den Monat mit A.B. (Teil 1): Müssen Eritreerinnen lauter werden?
A.B.* engagiert sich als Mediensprecherin im Eritreischen Medienbund dafür, dass Menschen aus Eritrea eine eigene Stimme erhalten – vor allem Frauen. Dafür steigt sie auch mit gestandenen Politikerinnen und Experten in den Ring.
WOZ: A.B., fühlen Sie sich unsichtbar?
A.B.: Mittlerweile weniger, weil ich beim Eritreischen Medienbund den Eritreerinnen eine Stimme geben kann. Aber früher schon. Ich habe irgendwann auch keine Nachrichten über Eritreer mehr gelesen, weil eben immer nur von den Männern die Rede war. Man fühlt sich überhaupt nicht wertgeschätzt, wenn man nicht vorkommt.
Wieso spricht man vor allem über die Männer, obwohl fast die Hälfte der rund 36 000 Menschen aus Eritrea, die in der Schweiz leben, Frauen sind?
Die Frauen sind weniger draussen als die Männer. Man sieht sie deshalb kaum, man vergisst sie, die Medien vergessen sie. So werden sie unsichtbar.
Müssten die Frauen also einfach lauter werden, so wie Sie?
Es ist schon so, dass Eritreerinnen sich wenig zu Wort melden. Aber sie machen das nicht, weil sie nicht interessiert wären. Viele sind traumatisiert. Auf der Flucht erleben Frauen viel schlimmere Dinge als Männer. Sie werden als Haushälterinnen zu Sklavenarbeit gezwungen, ihre Organe werden verkauft. Und sie werden vergewaltigt. Als ich selber im Sudan war, waren mit mir und meiner Familie auch ein paar allein reisende junge Frauen unterwegs. Die waren dann plötzlich verschwunden, und nach ein paar Tagen hörten wir, dass sie vergewaltigt und in der Wüste aufgefunden worden waren.
Und Frauen mit solchen Geschichten leben jetzt in der Schweiz?
Genau. Viele haben ihr Selbstbewusstsein komplett verloren. Hinzu kommt, dass in Eritrea der Mann das Oberhaupt der Familie ist und die Frau weniger Rechte hat. So sind die Frauen nicht in der Lage, für ihre Selbstständigkeit und ihre Freiheit zu kämpfen.
Was müsste man denn machen, um diese Frauen zu erreichen?
Viele von ihnen haben keine Ahnung, welche Rechte und Pflichten sie hier in der Schweiz haben. Sie wissen aber auch nicht, wo sie ihre Freizeit verbringen könnten. Es müsste deshalb mehr Frauentreffs geben, wo sich nicht nur Eritreerinnen untereinander begegnen, sondern Frauen aller Nationalitäten, um Informationen auszutauschen.
Sie engagieren sich besonders für Frauen. Sind Sie Feministin?
Was heisst das? (Lacht.)
Feministinnen machen sich für die Anliegen von Frauen stark, so wie Sie. Aber wenn Ihnen der Begriff nichts sagt, würden Sie sich wohl nicht so nennen?
Ich setze mich vor allem für jüngere Eritreerinnen und Eritreer ein, die Unterstützung im Leben brauchen. Für Frauen setze ich mich mehr ein, weil sie mehr Unterstützung brauchen.
Sie sind eine wichtige Figur für Eritreerinnen in der Schweiz. Man weiss also in der Community, dass man A.B. anrufen kann?
Ja. Ich bekomme jedoch mehr Anrufe von Männern, auch wenn es um Frauen geht. Wenn eine Frau zum Beispiel Fragen zum Schulsystem, zu einem Kantonswechsel oder zum Thema Verhütung hat, dann ruft oft nicht sie selbst an, sondern ihr Mann.
Und der sagt dann: «Hallo, meine Frau würde gerne wissen, ob …»?
Oder er sagt: «Eine Kollegin will etwas wissen …» Viele Eritreerinnen sind eben wirklich sehr unselbstständig. Der Mann entscheidet für sie. Deshalb ist es wichtig, direkt auf die Frauen zuzugehen, auf Facebook zum Beispiel. Wir produzieren auch Informationsvideos, die wir auf Facebook verbreiten. Und wenn ich eine Frau antreffe, dann sage ich ihr: «Schau, ich gebe dir hier ein paar Informationen.» Und ich frage: «Kennst du Frauen, die neu in der Schweiz sind?» Bei denen gehe ich dann vorbei.
Sie waren in letzter Zeit oft in den Medien. In der SRF-«Rundschau» zum Beispiel oder im «Club». Meistens werden Sie dann als positives Beispiel in Szene gesetzt. Nach dem Motto: «Seht her, die hat es geschafft.» Positionieren Sie sich bewusst so?
Ja! Aber ich will nicht als Einzelfall dargestellt werden. Leider hatte ich bisher oft das Gefühl, ich solle jetzt die eine Erfolgsgeschichte darstellen, eine Ausnahme unter all den Eritreern, die am Bahnhof herumhängen und Probleme machen. Dabei will ich ja eben gerade zeigen, dass es viele Menschen aus Eritrea gibt, die etwas erreichen wollen. Ich will ein Beispiel sein für etwas Grösseres.
Stattdessen werden Sie zur Supereritreerin gemacht?
Genau. Es ist schwierig, sich dagegen zu wehren. Im «Club», wo es um Freiwillige und ihr Engagement für Geflüchtete ging, waren die Integrationsexperten und Politikerinnen in der Runde alle sehr geübt im Umgang mit Medien. Sie konnten genau das sagen, was sie wollten. Ich hatte dafür zu wenig Zeit. Und ich konnte ja auch nicht einfach reinreden. Das hätte einen schlechten Eindruck vermittelt: Die Eritreerinnen können ja nicht einmal warten, bis die anderen ausgeredet haben!
A.B. (22) lebt seit acht Jahren in der Schweiz. Sie macht gerade ihre zweite Lehre zur Fachfrau Gesundheit. Ihre erste Ausbildung zur Assistentin Gesundheit und Soziales hat sie als Drittbeste des Kantons Zürich abgeschlossen.
* Name der Redaktion bekannt