Durch den Monat mit A.B. (Teil 2): Wen meinen Sie mit «wir»?

Nr. 50 –

A.B.* vom Eritreischen Medienbund wehrt sich gegen die Bezeichnung «Flüchtling»: Sie will kein Opfer sein. Und sie spricht lieber über die Situation von EritreerInnen in der Schweiz als über eritreische Politik.

WOZ: A.B., Sie wollen kein Opfer sein, sondern als Expertin für die Situation von eritreischen Menschen in der Schweiz ernst genommen werden …
A.B.: Es ist wichtig, dass die Leute merken: Wir sind nicht nur Flüchtlinge, sondern Menschen, die mit ihnen hier leben. Nach acht Jahren hier ist die Schweiz mein eigenes Land. Ich fühle mich nicht als Flüchtling, obwohl ich geflüchtet bin. Ich bin viel mehr als das.

Sie wehren sich gegen die Bezeichnung «Flüchtling»?
Ja, «Flüchtling» ist diskriminierend. Man kann sagen: ein Mensch aus Eritrea, der geflüchtet ist. Aber ein Flüchtling ist einfach ein Ding, das geflüchtet ist. Wir erhalten beim Medienbund immer wieder Anfragen von Journalistinnen und Journalisten, die einfach nur ein Opfer suchen. Die Arena von SRF wollte zum Beispiel «einen Bootsflüchtling». Ein Kollege ist dann hingegangen und nur ganz kurz zu Wort gekommen. Dafür, welche Gefühle die Diskussion über seine Flucht bei ihm ausgelöst hat, interessierte sich niemand.

Sie kritisieren auch, dass über Eritreerinnen und Eritreer vor allem negativ berichtet wird. Was löst das bei Ihnen aus?
Man entwickelt Hass. Gegen die Leute, die solche Dinge schreiben, und gegen die Leute, die wirklich denken, dass wir so sind. Bevor ich beim Medienbund war, dachte ich: Alleine kannst du eh nichts gegen dieses negative Bild tun. Dabei ist es so wichtig, dass sich das Bild von uns schon jetzt zu ändern anfängt, damit wir gemeinsam eine starke Zukunft aufbauen können.

Wen meinen Sie mit «wir»?
Die junge Generation, Menschen aus Eritrea und aus der Schweiz. Also Sie und ich. Wir sind die Zukunft der Schweiz – nicht die Eritreer, von denen in den Medien immer die Rede ist.

Könnte so der Hass abgebaut werden?
Ja, denn nicht nur wir aus Eritrea empfinden Hass. Die Menschen aus der Schweiz ja auch. Die Medien und die Behörden machen die Beziehung zwischen den beiden Kulturen, den beiden Nationalitäten, kaputt. Weil sie über uns reden und nicht mit uns. Die Leute, die keine Ahnung haben und trotzdem schlecht über eritreische Geflüchtete reden, entwickeln ihre Abneigung auch nur wegen der Medien, genauso wie die Eritreer.

Diese Erkenntnis ändert aber nichts daran, dass man diesen Leuten offenbar eher glaubt. Wenn zum Beispiel eine SVP-Politikerin in Eritrea Ferien macht und dann lang und breit im «Blick» erzählen darf, dass dort alles super sei und es keinen Grund gebe, zu flüchten. Wieso glaubt man ihr mehr als Ihnen?
Ich kann es mir nur so erklären: Sie ist Politikerin, dadurch hat sie automatisch mehr Macht. Aber wenn es um geflüchtete Menschen geht, dann haben Politikerinnen und Politiker wirklich nichts zu sagen. Sie haben selber keine Flucht erlebt und nie in Eritrea gelebt. Hier setzen wir vom Medienbund an: Wir sind Expertinnen für unsere eigenen Geschichten.

Wir haben bis jetzt vor allem von der Situation in der Schweiz gesprochen. Wie ist denn die politische Lage in Eritrea?
Ich habe mich früher dazu geäussert, heute halte ich mich da lieber zurück. Im Dezember habe ich an einer Demo das eritreische Regime kritisiert, und ein Video davon wurde auf Facebook geteilt. Daraufhin gab es Druck von meiner Familie. Meine Eltern, die auch hier in der Schweiz leben, haben gesagt: «Sprich nie mehr über Politik, du hast doch keine Ahnung. Und du weisst nicht, was du uns damit für Probleme machst.» Sie haben Angst bekommen.

Angst wovor?
Man muss wissen, dass die eritreische Diaspora tief gespalten ist. Die einen sind regimetreu, die anderen hassen die Regierung. Meine Eltern sind nicht politisch aktiv, aber wenn unsere Landsleute sehen, wie ich mich gegen das Regime engagiere, dann grenzen die Regimetreuen meine Eltern automatisch auch aus. Ich kann nicht nur an mich selbst denken.

Ich wollte Sie eigentlich fragen, was Sie über die Studierendenproteste denken, zu denen es Ende Oktober in der Hauptstadt Asmara gekommen ist.
Sie haben bei mir sehr viel ausgelöst, vor allem Angst und Unsicherheit. Das waren die ersten Proteste seit 26 Jahren! Es wurde dagegen protestiert, dass das Regime alle religiösen Symbole in der Öffentlichkeit verboten hat. Einige Hundert gingen auf die Strasse, Muslime und Christen zusammen. Zu Recht! Im Moment ist es offenbar wieder ruhig, aber ich habe Angst um die Zukunft von Eritrea, dass das Land zu einem nächsten Libyen oder Syrien wird.

Wird Ihnen nicht manchmal alles zu viel? Neben Ihrem Engagement für die eritreische Diaspora sind Sie ja eigentlich in einer Lehre zur Fachfrau Gesundheit …
Doch. Aber in der Lehre kann ich nicht einfach Pause machen. Ich bin oft krank: Mein Körper reagiert und sagt: Stopp! Aber sonst bin ich nonstop unterwegs. Wenn ich dann sehe, welche Fortschritte wir mit unserer Arbeit machen, werde ich einfach nicht müde.

A.B. (22) will nicht alle Menschen aus Eritrea in einen Topf werfen. Aber eines müsse man wissen: Wenn EritreerInnen ihrem Gegenüber nicht in die Augen schauten, sei das nicht unhöflich, sondern ein Zeichen des Respekts. Man senke den Blick, um nicht überheblich zu wirken.

* Name der Redaktion bekannt