Eritreische Community: Warum die Schweiz mitschuldig ist

Nr. 36 –

In Opfikon kam es zu gewaltsamen Zusammenstössen innerhalb der eritreischen Community. Dahinter steckt ein seit langem schwelender Konflikt – den der Bund noch befeuert.

Demonstration von Anhänger:innen des eritreischen Autokraten Isayas Afewerki 2015 in Genf
«Wir sind er, er ist wir»: Demonstration von Anhänger:innen des eritreischen Autokraten Isayas Afewerki 2015 in Genf.  Foto: Magali Girardin, Keystone

Stockholm, Calgary, Bergen, Giessen, Tel Aviv – und Opfikon. In den vergangenen Wochen kam es in verschiedenen Ländern mit grosser eritreischer Gemeinschaft zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. In Schweden, Kanada oder Deutschland gab es bereits in den Jahren zuvor ähnliche Vorfälle. In der Schweiz ist die Dimension der Gewalt zwar eine neue, Spannungen innerhalb der eritreischen Community gibt es aber auch hierzulande seit langem. Bereits 2013 kam es in St. Gallen zu einer Schlägerei zwischen Befürworter:innen und Gegner:innen des Regimes von Langzeitherrscher Isayas Afewerki.

Die Zusammenstösse in Opfikon sind demnach auch in der Schweiz als weitere Episode eines grösseren schwelenden Konflikts zu verstehen: auf der einen Seite die systemtreuen Anhänger:innen des Regimes, die mit ihrem Eritreafestival den Jahrestag des eritreischen Unabhängigkeitskriegs begehen wollten, auf der anderen Seite Oppositionelle. Die verfeindeten Parteien sollen am Samstag mit Hämmern, Stöcken und Messern aufeinander losgegangen sein. Die Kantonspolizei Zürich war mit einem Grossaufgebot vor Ort, bot zusätzliche kommunale Einsatzkräfte auf, setzte Reizgas ein. Auch ein Polizeihelikopter kam zum Einsatz.

Zwölf Verletzte und drei Festnahmen lautet die Bilanz der Zusammenstösse in der Zürcher Gemeinde. Die drei festgenommenen Personen sind inzwischen wieder auf freiem Fuss. Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet.

Alte Wunden werden sichtbar

In der Schweiz leben 30 000 Eritreer:innen. Erste Geflüchtete kamen in der Schlussphase des eritreischen Unabhängigkeitskriegs Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in die Schweiz. Diese Menschen waren hauptsächlich vor den Angriffen und Gräueltaten des äthiopischen Militärs geflüchtet. Ein Grossteil dieser Geflüchteten und ihre Nachkommen verehren Isayas Afewerki bis heute als Freiheitskämpfer und halten dem Regime die Treue. Nachdem 1993 das Land seine Unabhängigkeit von Äthiopien erlangt hatte, entpuppte sich Afewerki als knallharter Alleinherrscher. Das von ihm installierte Einparteienregime setzte von Beginn weg auf Repression, Gewalt und Folter.

Diese Entwicklung und ein erneuter Krieg mit Äthiopien führten zur Jahrtausendwende zu einer zweiten, grösseren Fluchtbewegung aus Eritrea. Die Menschen suchten Schutz in den Nachbarländern Äthiopien und dem Sudan, flohen in alle Teile der Welt, nach Kanada, Schweden, Deutschland, Australien – und eben auch in die Schweiz. Und sie tun dies auch heute noch. Amnesty International stellt dem System in Asmara in seinem Menschenrechtsreport 2022 nach wie vor ein katastrophales Zeugnis aus: Die Organisation hält fest, dass das Regime weiterhin Oppositionelle stark unter Druck setze und willkürlich verschwinden lasse. Auch gibt es Hinweise auf sexuelle Gewalt durch Militärkommandanten gegen Wehrpflichtige. Dazu sind die Lebensumstände für weite Teile der Bevölkerung aufgrund der prekären ökonomischen Situation anhaltend schwierig.

Das Regime nimmt aber auch seine Bürger:innen im Ausland in die Mangel: Eritreische Staatsangehörige in der ganzen Welt sind dazu verpflichtet, zwei Prozent ihres Einkommens an den eritreischen Staat abzuliefern. Afewerki hat dafür eine «Rehabilitations- und Diasporasteuer» eingeführt: Mit der Abgeltung dieser Steuer erwerben Eritreer:innen eine Art Bescheinigung, die sie dazu berechtigt, Eigentum in Eritrea zu erwerben oder zu besitzen, und die nötig ist, um in eritreischen Botschaften und Konsulaten an Dokumente wie Pässe oder Geburtsurkunden zu gelangen.

Um die eritreischen Gemeinschaften im Ausland zu kontrollieren, setzt das Regime auf ein feinmaschiges Netz diplomatischer Vertretungen in den Ländern, in denen es grössere eritreische Gemeinschaften gibt, und benutzt Spione und Spitzel.

Auch in der Schweiz: Erst letzte Woche hat die «Aargauer Zeitung» publik gemacht, dass beim Bund tätige eritreische Dolmetscher:innen unter Verdacht stehen, vom Regime in Asmara gezielt in diese Funktion eingeschleust worden zu sein. Ihr Auftrag soll es sein, Dissident:innen zu lokalisieren, Geflüchtete zu erpressen und die eritreische Gemeinschaft in der Schweiz systematisch zu bespitzeln. Der Bund hat angekündigt, dazu eine Untersuchung einzuleiten. Doch die Bundesverwaltung dient dem Regime auch selber zu: Nachdem die Schweizer Behörden in den vergangenen Jahren das Recht auf Asyl für Geflüchtete aus Eritrea schrittweise stark eingeschränkt hatten, war das zuständige Staatssekretariat für Migration 2020 von unterschiedlichen Seiten für seine Praxis kritisiert worden, die Daten abgewiesener Geflüchteter an das Regime in Eritrea zu übermitteln.

Der Fokus der Schweizer Politik richtet sich indes gegen die eritreische Community selbst: Bereits 2022 hatte FDP-Ständerat Damian Müller angeregt, die Veranstalter:innen des Eritreafestivals einer Überprüfung zu unterziehen. Mit seiner Interpellation blitzte er beim Bundesrat jedoch ab. Auch auf die aktuellen Zusammenstösse in Opfikon folgten prompt Reaktionen aus der Politik: SVP-Nationalrat Benjamin Fischer kündigte einen Vorstoss in der anstehenden Herbstsession an, der den Schutzstatus von «regimetreuen und gewaltbereiten» Geflüchteten aus Eritrea infrage stellen soll.

Rufe nach Ausschaffung

Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr hat unterdessen beim Staatssekretariat für Migration eine ähnliche Forderung deponiert. «Es gibt keinen Grund, weshalb regimetreue Eritreer in der Schweiz weiterhin Schutzstatus geniessen sollen», lässt sich der parteilose Zürcher Regierungsrat zitieren. Nur: Die überwiegende Mehrheit der regimetreuen eritreischen Migrant:innen aus der ersten Generation von Geflüchteten ist entweder längst eingebürgert oder hat eine Niederlassungsbewilligung. Eine Forderung nach der Aufhebung des Schutzstatus würde also nur diejenigen betreffen, die zu Recht diesen Status geniessen, weil sie vom System in Asmara verfolgt werden.

Die Schweiz muss sich viel eher der Frage stellen, inwiefern sie sich zum Handlanger eines autoritären Regimes macht, wenn sie Eritreer:innen in Asylprozessen, bei Zivilstandsänderungen oder der Geburt eines Kindes quasi zum Kontakt mit dem Regime zwingt. Und sie muss sich gegenüber dem eritreischen Regime für die Interessen der in die Schweiz Geflüchteten einsetzen. Dies verlangt auch der Eritreische Medienbund Schweiz, eine Vereinigung der Opposition: «Anstatt weiterhin in der Hoffnung auf ein Rückübernahmeabkommen auf Kuschelkurs mit dem eritreischen Regime zu setzen, müssen Ressourcen zum Schutz der hier lebenden Geflüchteten bereitgestellt werden.»