Kino-Film «Sami»: Ein Mondgesicht wird vermessen
«Was machen Sie da?», fragt sie leise, während ihr der Mann vom Amt mit seinen Instrumenten den Schädel und die Nasenlänge abmisst. Als er nicht antwortet, fragt das Mädchen nochmals, etwas bestimmter diesmal: «Was machen Sie da?» Keine Antwort. Kaum hat sie die anatomische Vermessung überstanden, soll sich die junge Lappin Elle Marja (Lene Cecilia Sparrok) vor aller Augen nackt für die Kamera ausziehen, während die Buben durchs Fenster stieren.
Das Geräusch des Blitzlichts brennt sich dann förmlich in ihren Körper ein, und nach der behördlichen Erniedrigung folgt auch gleich die Demütigung durch die Dorfjugend: Die Burschen schneiden Elle Marja ins Ohr, eine rituelle Markierung wie bei einem Rentier.
Regisseurin Amanda Kernell, Tochter einer Schwedin und eines samischen Vaters, hat für ihren preisgekrönten Erstling «Sami» auch in ihrer eigenen Familie recherchiert. Sehr klassisch erzählt die 31-Jährige von der Abnabelung einer jungen Samin, und im Fokus auf ihre grandiose Hauptdarstellerin entfaltet das eine stille Wucht. Elle Marja will nichts wissen vom Hirtenleben mit seinen Rentieren und seinem Joik-Gesang. Sie will zur Schule, sie will in die Stadt, nach Uppsala – dass sie dann, endlich dort angekommen, in einem symbolischen Akt gleich mal ihre samische Tracht verbrennt, ist vielleicht der einzige Moment, wo dieses überaus stilsichere Debüt kurz ins Plakative kippt.
Ihren samischen Namen hat Elle Marja da schon abgelegt: Um als Schwedin durchzugehen, nennt sie sich Christina, aber ihre untersetzte Statur und ihr Mondgesicht werden ihre Herkunft immer verraten. So ist «Sami» auch ein Film über Binnenrassismus, das herablassende Interesse der Herrenmenschen – und über den Exotismus, der zu Hause beginnt. Selbstermächtigung ist auch nur um den Preis einer Abspaltung zu haben, so deutet «Sami» gleich zu Beginn an. Da sehen wir Elle Marja, wie sie als alte Frau zum Begräbnis ihrer Schwester in die Provinz zurückkehrt: stolz und unabhängig, aber zugleich völlig entfremdet von ihrer Familie, eine Fremde unter ihresgleichen.
Sami. Regie und Drehbuch: Amanda Kernell. Schweden 2016