#MeToo: Die Angst vor der Lust
In den USA wurde «Feminismus» zum Wort des Jahres gekürt. Aha. Aber wie wackelig und prekär die Dinge im Jahr von #MeToo auch liegen mögen: Es gibt einen feministischen Fortschritt. Bloss, wie halten wir es jetzt mit der Lust?
Feminismus 2017 begann für mich mit einer eigenartigen Szene am Triton-und-Nymphen-Brunnen im Wiener Volksgarten. Da sass ich nämlich an einem der ersten wärmeren Tage des Jahres und sah den Täuberichen beim Balzen zu. Auch die Erpel stürzten sich frühlingswild wie Kamikazejäger aus der Luft ins Brunnenwasser und trieben dort die Enten ihrer Wahl vor sich her. Vorbei zog eine der unvermeidlichen asiatischen Reisegruppen, die Wien kollektiv durch auf Handystangen gepackte Smartphones besichtigen. Der Brunnen war klares Fotomotiv, woraufhin ich auch genauer hinschaute: Da trägt Triton, ein Satyr mit Fisch-Pferde-Unterleib, eine Nymphe auf der Schulter, die sich windet und ganz offensichtlich nicht goutiert, was Triton mit ihr vorhat. Er speit zur Seite wie einer, der seine Arbeit gut gemacht hat und die Beute fest im Griff hält. Sie blickt, den Mund zum Schrei aufgerissen, gen Himmel. Und ist das jetzt ein Zufall, dass die Fontäne nur aus seinem, nicht aber auch aus ihrem, obgleich doch geöffneten Mund spritzt?
«Hm», dachte ich damals, «krass, und warum hat eigentlich noch keine Gleichstellungsinitiative gegen solche Figurengruppen Protest eingelegt?» Schliesslich sind solch barocke Elogen auf «rape culture» ziemlich empörend. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis das ein Thema wird.
Das Täuberich-Erpel-Triton-Erlebnis lag noch vor der #MeToo-Debatte. Aber #MeToo liegt nach #aufschrei aus dem Jahr 2013, nach kritischen Diskussionen um Silvio Berlusconis Bunga-Bunga-Partys und Dominique Strauss-Kahns Zimmermädchengeschichten, nach den ersten wirklich wirkungsvollen Enthüllungen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche 2010. All diese wiederkehrenden öffentlichen Skandale erscheinen wie Etappen auf dem Weg einer langsamen Veränderung der sexuellen Kultur. Das Fähnchen der Sensibilität, des Verständnisses für marginalisierte Gruppen hat sich – teilweise wenigstens – gedreht; Werte wie Gleichheit, Antidiskriminierung, Schutz von Schwächeren sind wesentlich stärker im Common Sense verankert als noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren. Folglich verlieren die alten «Kavaliersdelikte» an moralischem Kredit und die Bilder und Worte ihre Unschuld beziehungsweise wir unsere Naivität. Denn Vergewaltigung steckte immer schon im Triton-Brunnen, nur war das früher halt normal und nicht der Rede wert. Jetzt plötzlich sehen wir überall «rape» und/oder Missbrauch, und die Schwierigkeit ist, dass man halb Wien sprengen müsste, wollte man brutalbarocke Lustdarstellungen grundsätzlich problematisieren oder gar nicht mehr öffentlich herzeigen.
Beschnittenes Begehren
Machen wir einen Sprung zu Madame Chantelouve. Die Dame spielt in Joris-Karl Huysmans’ Roman «Là-bas» (1890) eine Rolle, unter anderem in einer sehr eigenartigen Liebesszene. Umworben von Durtal, dem Helden der Geschichte, ziert sie sich, wie und weil es sich so gehört. Durtal strengt sich an, bedrängt seine Beute auch ein bisschen und bekommt sie schliesslich ins Bett. Nur: Es macht ihm keinen Spass. Durtal möchte eigentlich den Beischlaf gar nicht, Madame Chantelouve hingegen entbrennt nachhaltig in sexueller Leidenschaft. Die ironisch-komische Liebesszene bei Huysmans ist misogyn, gar keine Frage, schliesslich stammt sie aus der Zeit der Triton-Brunnen. Aber sie ist auch auf produktive Weise verwirrend. Denn erstens wirft sie die generelle Frage auf, ob dieses Sexding den Männern eigentlich Lust bereitet. Ist das alles ein Spass oder doch eher harte Arbeit?
Zweitens kommt der Verdacht auf, dass das Triton-Spiel – so will ich es einmal nennen – im Grunde eine Abwehr ist, eine Versicherung gegen die Lust der Frau. Denn nichts ist so unangenehm in unserer das Weibliche beschämenden Kultur wie die hemmungslos sexualisierte, alles verschlingende, die phallische oder besser noch: die vaginale Frau, die sich nimmt, was sie will, und sich auf eine Weise entblössen könnte, die uns alle das Fürchten lehrt. Huysmans’ Romanszene erinnert daran, wie wahnsinnig viel unbefriedigte Frauenlust es auf diesem Planeten geben muss, wie viel durch Gewalt verstümmeltes, oder auch nur frustriertes, gedemütigtes und aufs Warten, auf Schönseinwollenmüssen, aufs Verführtwerden beschnittenes Begehren.
Mehrfach ist angemerkt worden, dass Aktionen wie #aufschrei oder #MeToo das Nein in den Vordergrund stellen. Es steht – na ja, warum wohl? – die Abwehr im Vordergrund und die Notwendigkeit weiblicher Zustimmung. Die Frau soll Nein oder Ja sagen dürfen und erinnert damit tiefenpsychologisch an die Imago der Mutter, die verbietet oder erlaubt. Die Frau, die das Spiel bestimmt, die Nymphe, die sich den Triton schnappt und ihn nach Strich und Faden fickt, kommt in diesem Bild nicht vor. Insofern existiert eine geheime Allianz zwischen dem Narrativ von #MeToo und dem des Triton-Brunnens.
Die Macht der nackten Wahrheit
Es gibt einen feministischen Fortschritt, wie wackelig und prekär die Dinge auch liegen mögen, und 2017 hat er mit #MeToo weiter Geschichte geschrieben. Wobei wir, das sei angemerkt, auf hohem Niveau diskutieren und der wirkliche Skandal für Feministinnen sein sollte, dass kaum eine der nach Europa geflüchteten Frauen hier ankommt, ohne auf der Route sexuelle Gewalt erfahren zu haben. Ihr #MeToo möchte man sich noch nicht einmal vorstellen.
Beeindruckend ist jedoch, wie mächtig die «nackte Wahrheit» sein kann, wie befreiend, wenn öffentlich benannt wird, welche Übergriffigkeiten bislang alle als «normal» oder unvermeidbar galten. Wie dagegen eine gute Konsenskultur zwischen den Geschlechtern aussehen könnte, hat Laurie Penny kürzlich in ihrem Text «The Horizon of Desire» ausbuchstabiert. Konsens, sagt sie dort, sei kein feststehendes Ding, sondern eben ein immer wieder auszuhandelnder Prozess: «Du kannst tatsächlich Nein sagen, selbst wenn du in der Vergangenheit einmal Ja gesagt hast. (…) Konsens ist mehr als die Abwesenheit eines Nein. Er ist die Möglichkeit eines wirklichen Ja.»
Dominanz mal hier, mal dort
Ich denke an einen Satz von Simone de Beauvoir. Am Ende von «Das andere Geschlecht» (1949) formuliert sie die Utopie, Frauen und Männer könnten irgendwann vielleicht «brüderlich» zusammenleben. Dieser Satz ist oft kritisiert worden, weil de Beauvoir die männliche Form favorisiert und weil «brüderlich» ziemlich unsexy klingt. Vielleicht klingt es aber auch ein bisschen schwul, und vielleicht liesse sich ausgerechnet hier für Feministinnen etwas lernen. Man muss die schwule Sexkultur nicht verherrlichen – sie kennt Unterwerfung, Vergewaltigung, Demütigung und üble Verachtung des Weiblichen wie alle anderen Kulturen auch, und es laufen in ihr definitiv zu viele aufgepumpte Tritons herum. Aber mir scheint, dass in ihr auf der Grundlage der Achtung als «Mann», als «Gleicher», ein freieres Spiel möglich ist. Gleichheit garantiert, dass die Rollen männlich/weiblich, aktiv/passiv, mächtig/ohnmächtig potenziell umkehrbar sind, dass die Macht nicht stillsteht, sondern fliesst, dass die Dominanz mal hier sein kann und mal dort.
Das etwas protestantisch anmutende Verhandlungsethos einer Konsenskultur (was will ich, was willst du, wo ist die Mitte?) ist eine Lösung; eine andere wäre ein Modell, in dem die Macht des «Ich will und ich kann» so verteilt ist, dass beide Seiten sie haben und ausagieren, wenn auch vielleicht nicht zur gleichen Zeit. Um dieses Modell «rotierender Macht» in eine feministische Utopie zu überführen, müsste sich die gesellschaftliche und das heisst: die sexuelle Rolle von Frauen ändern. Es bedarf der phallischen oder eben der phallisch-vaginalen Frau. Solange sie als diejenige agiert, die sich ziert, hat er die Macht. Solange sie sich nur wehrt, bleibt das Spiel bei ihm. Solange er überwältigt, kann sie nicht überwältigend sein – auch wenn er ihr erzählt, wie umwerfend sie aussieht.