Schweiz und EU: Es liegt alles auf dem Tisch

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Wie weiter mit der EU? Nach dem vorweihnächtlichen Scharmützel zwischen Bundesrat und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist das eine der grossen Fragen, die sich zum Jahresbeginn stellen. Juncker war nach Bern gekommen, wo er sich öffentlich über die angebliche Einigkeit mit dem Bundesrat freute, bis zum Frühjahr 2018 ein sogenanntes Rahmenabkommen abschliessen zu wollen.

Als Juncker, zurück in Brüssel, erfuhr, dass der Bundesrat es doch nicht so eilig hat, reagierte die EU prompt: Der Schweizer Börsenplatz soll lediglich für ein Jahr befristet Anschluss an die EU erhalten. Seither glühen in Bern die Köpfe.

Im Grunde liegen die europapolitischen Optionen seit Jahren offen auf dem Tisch: Nach dem Nein zum EWR-Beitritt 1992 hat die Schweiz zwei Vertragspakete mit der EU abgenickt, mit denen sie sich an den europäischen Binnenmarkt angehängt hat. Nun fordert die EU bereits seit Jahren, die Verträge unter ein Rahmenabkommen zu stellen – seit 2014 wird verhandelt. Das Abkommen soll dafür sorgen, dass die Schweiz neues EU-Recht im Bereich der bilateralen Verträge laufend übernimmt. Zudem soll es sicherstellen, dass bei Streitigkeiten über die Auslegung des Rechts der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet – oder zumindest massgeblich mitbestimmt.

Das Problem mit dem Rahmenabkommen ist, dass es in der Bevölkerung kaum eine Mehrheit findet. Dafür gibt es einen guten Grund. Störend ist nicht der Verlust an nationaler Souveränität, den die Familie Blocher bejammert – schliesslich haben ja auch die Kantone über die Zeit Souveränität an den Bund verloren. Störend ist die grobe Verletzung der Demokratie, die ein Rahmenabkommen bringen würde: Die hiesigen BürgerInnen sollen EU-Recht übernehmen, zu dem sie nichts zu sagen hätten. Und sie sollen sich einem Gericht unterwerfen, in das sie keine eigenen RichterInnen wählen können.

Neben dem Rahmenabkommen gibt es eine zweite europapolitische Option: Die Schweiz tritt der EU bei. Damit könnten die hiesigen BürgerInnen in der EU mitentscheiden – über das EU-Parlament, die Kommission und den Ministerrat. Zwar ist die EU nach wie vor eine undemokratische Organisation, in der Berlin und Paris den Takt vorgeben. Doch ein EU-Beitritt würde den hiesigen BürgerInnen zumindest die Möglichkeit eröffnen, sich politisch einzusetzen.

Die dritte europapolitische Option besteht darin, dass sich die Schweiz aus dem europäischen Binnenmarkt zurückzieht – oder dass sie sich zumindest mit dem Status quo zufriedengibt. Mit entsprechenden Einbussen für Exportfirmen.

Diese drei Optionen müssen endlich offen debattiert werden, mit ihren Vor- und Nachteilen. Stattdessen tut der Bundesrat seit fast vier Jahren so, als könnte er eine technische Ausgestaltung des Rahmenabkommens aushandeln, mit der die Demokratie bewahrt würde. Der neue Aussenminister Ignazio Cassis suchte die Lösung zuerst im «Resetknopf», den er in der Europapolitik zu drücken gedachte. Nun soll es ein neues Staatssekretariat für Europafragen richten. Und dann sind da noch die vielen ParlamentarierInnen, die einen Hüftschuss nach dem anderen abfeuern in der Hoffnung, dass sie es mit Bild in eine Sonntagszeitung schaffen.

Der bürgerlich dominierte Bundesrat nutzte Brüssels Ankündigung, den Anschluss der Schweizer Börse an die Europäische Union auf ein Jahr zu befristen, gar als Vorwand, um sich einen alten Wunsch zu erfüllen: Die abtretende Bundespräsidentin Doris Leuthard vermeldete, dass die Regierung der Schwächung der Schweizer Börse mit der Abschaffung der Stempelabgabe begegnen wolle, einer Steuer auf den Handel und die Ausgabe von Wertpapieren wie etwa Aktien. Kurz: Der Bundesrat plant ein zwei Milliarden Franken (!) schweres Steuergeschenk für Unternehmen und Vermögende. Und dies mitten während der aktuell laufenden Unternehmenssteuerreform, die bereits Milliarden kosten wird – und obwohl selbst Leute wie Ex-UBS-Banker Oswald Grübel sagen, dass der Börsenplatz damit kaum gestärkt würde.

Man langt sich an den Kopf. Und fragt sich, für wen dieser Bundesrat eigentlich Politik macht.