Fossile Energien: Noch wehrt sich die Macht des Öls

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Wird das womöglich Radikalste, was die «Weltgemeinschaft» je beschlossen hat, tatsächlich umgesetzt? In diesen Wochen könnten wir ZeugInnen davon werden, wie eine Entwicklung an Dynamik gewinnt, die sehr vieles verändern könnte – auch wenn es vermutlich zu spät ist, es auch zu erreichen.

Das womöglich Radikalste, was die Welt jemals beschlossen hat: das Abkommen von Paris vom Dezember 2015. Dieses schreibt vor, dass die Treibhausgasemissionen bis in die zweite Jahrhunderthälfte netto auf null sinken müssen. Beim absehbaren Stand der Technik ist das gleichbedeutend mit dem Ende der Nutzung der fossilen Energieträger. Implizit verlangt das Pariser Abkommen sogar, dass dies schon in der ersten Jahrhunderthälfte eintreten muss: Nur so lässt sich der Zweck des Abkommens erreichen, die Erderwärmung auf «deutlich unter 2 Grad» zu begrenzen, ja «Anstrengungen zu unternehmen, um 1,5 Grad Erwärmung nicht zu überschreiten».

Kohle, Erdöl und Erdgas decken vier Fünftel des globalen Energiebedarfs, und sie nähren das Wachstum der Weltwirtschaft. Sie als Energieträger zu ersetzen, ist äusserst herausfordernd – aber möglich. Unersetzlich dagegen sind fossile Energieträger als Basis wirtschaftlicher und politischer Macht. Auch deshalb wäre der Verzicht auf sie eine grosse Chance: Autoritäre, destruktive Macht verlöre ihre Basis. Aber diese Macht wehrt sich machtvoll.

Und das ist der Punkt, wo die Entwicklung vielleicht entscheidend an Dynamik gewinnt: Anfang Jahr gab die Stadt New York bekannt, aus Investitionen in fossile Energien auszusteigen; Ende 2017 hat die Weltbank bekannt gegeben, künftig keine entsprechenden Projekte mehr zu finanzieren. Was 2010 auf einem US-amerikanischen Campus als Kampagne unter dem Stichwort «Divestment» begann, reisst immer prominentere Institutionen mit. Schon länger mit dabei ist der grösste Staatsfonds der Welt, der norwegische Pensionsfonds, ebenso die AXA Group, einer der weltgrössten Versicherer und Vermögensverwalter; zu den prominenten FürsprecherInnen gehört Mark Carney, Gouverneur der Bank of England – nicht die üblichen Verdächtigen aus der Umweltbewegung. Wenn gleichzeitig die mutmasslich neu-alte Regierungskoalition Deutschlands die Klimaziele bis 2020 fallen lässt und in der Schweiz der Bundesrat einen Entwurf für ein revidiertes CO2-Gesetz vorlegt, das weit hinter den Erfordernissen zurückbleibt, so wirkt die Politik neben Grössen der Finanzwirtschaft wie die alte Fasnacht.

AXA «divestiert» nicht nur, sie versichert Unternehmen der Fossilwirtschaft auch nicht mehr. New York zieht nicht nur sein Geld aus der Fossilwirtschaft ab, sondern verklagt die grössten Ölkonzerne auch auf Schadenersatz. Von weltweit fast 900 Klimaklagen weiss das Uno-Umweltprogramm Unep zu berichten. Und die sind nicht chancenlos: Ein Gutachten des deutschen Umweltjuristen Felix Ekardt von Anfang Januar kommt zum Schluss, dass die Ziele des Pariser Abkommens zwar nicht direkt einklagbar seien – sehr wohl aber in Verbindung mit den Menschenrechten und dem daraus ableitbaren Vorsorgeprinzip. In den Niederlanden und in Neuseeland müssen die Regierungen ihre Klimapolitik bereits auf richterliches Geheiss nachbessern. Das vom Bundesrat vorgeschlagene CO2-Gesetz, das einen Beitrag leisten will, den «globalen Temperaturanstieg auf weniger als 2 Grad zu beschränken», ist völkerrechtlich unhaltbar: Es gilt ein ambitionierteres Ziel.

Vielleicht stellen in naher Zukunft Gerichte, Investorinnen und Versicherer die Weichen, die zu stellen die Politik versäumt. Aber vermutlich wird es zu spät sein. Das Uno-ExpertInnenpanel für den Klimawandel IPCC arbeitet derzeit an einem Bericht zur Frage, ob sich die Erwärmung noch auf 1,5 Grad begrenzen lasse. Einem vergangene Woche durchgesickerten Entwurf zufolge ist das kaum mehr möglich. Aber schon 1,5 Grad lassen mehr als hundert Millionen Menschen weltweit zusätzlich in Armut absinken. Und diese Annahme ist – bei allen sonstigen Unwägbarkeiten – wissenschaftlich fundiert.