Klimapolitik: «Jeder Protest gilt als Störung und Gefahr für das Wirtschaftswachstum»

Nr. 32 –

Alle reden über den Klimawandel, aber gehandelt wird nur sehr zögerlich – Pariser Abkommen hin oder her. Drei Ansätze, das zu ändern: auf direktdemokratischer Ebene, per NGO-Kampagne und über zivilen Ungehorsam wie gerade in Basel.

Die Folgen des Klimawandels sind ebenso bekannt wie das, was getan werden müsste, um ihn einzugrenzen. Doch der politische Wille, etwas zu unternehmen, fehlt. Der Umweltjournalist und ehemalige WOZ-Redaktor Marcel Hänggi, einer der sorgfältigsten Beobachter des Klimawandels in der Schweiz, skizziert das Problem: «Ich habe kein Vertrauen in den ausschliesslich parlamentarischen Weg. Doris Leuthard, die derzeitige Umweltministerin, zeigt keine Bereitschaft, das Nötige zu tun.» Er verweist auf ein Gespräch mit ihr anlässlich des Klimagipfels in Paris 2015. Auf die Frage, ob die Schweiz nun entsprechende Massnahmen in Angriff nehmen werde, antwortete sie: «Wir wären ja schon froh, für zwei Grad auf Kurs zu sein. (…) Sie kennen ja unser Parlament. (…) Meinen Sie denn, die Amerikaner meinten es ernst?»

Das revidierte CO2-Gesetz vom Dezember 2017 widerspiegelt diese Haltung. Es spricht nicht vom langfristigen Ziel eines Verzichts auf Treibhausgasemissionen, wie er im Pariser Übereinkommen formuliert ist, sondern lediglich von deren Verminderung. Damit handelt das Parlament entgegen dem, wofür sich der Bund völkerrechtlich verpflichtet hat. Ein grosser Teil der Einsparungen soll zudem im Ausland durch Kompensationen erfolgen. Hänggi beschreibt das Problem: «Das Langfristziel der Senkung ist wichtig, damit klar wird, dass Investitionen in die Fossilindustrie nicht weiter sinnvoll sind.»

Wenn im Parlament also der Wille fehlt, welche Möglichkeiten bleiben dann für eine Eingrenzung der Erderwärmung?

Erstens: Die Gletscherinitiative

Hänggi bereitet zurzeit mit einem Komitee eine Initiative vor, die das von der Schweiz bereits unterzeichnete Pariser Klimaabkommen in der Verfassung verankern will (siehe WOZ Nr. 22/18 ). Er erklärt: «In einem gewissen Sinn ist es die unradikalste Initiative der letzten Jahrzehnte. Sie will gesetzlich verankern, wofür sich die Schweiz im Pariser Abkommen bereits verpflichtet hat.»

Billige fossile Energie ist seit rund zwei Jahrhunderten der Antrieb der Weltwirtschaft. Dass sich Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse deshalb gegen die Initiative stellen, ist zu erwarten. Erstaunlich ist indes, dass derselbe Verband das Pariser Übereinkommen unterstützt, das dieselben Forderungen beinhaltet. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) hingegen hat sich auf Anfrage nicht zur Initiative geäussert und bezieht sich auf die Revision des CO2-Gesetzes, um die Pariser Ziele zu erreichen.

Dabei widerspricht sich die offizielle Schweiz erneut: Durch das Ratifizieren des Abschlussdokuments hat sie sich dafür verpflichtet, dass der «Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird und Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius (…) zu begrenzen». Im revidierten CO2-Gesetz ist hingegen nicht mal mehr von einem Ziel «deutlich unter 2 Grad» die Rede, sondern die 2 Grad sind schlicht als Obergrenze vorgesehen. Das zeige, dass die Versprechungen, die in Paris gemacht wurden, nicht ernst gemeint waren und deshalb über das Volk durchgesetzt werden müssen.

Der Haken am Pariser Abkommen ist die Unverbindlichkeit. Obwohl völkerrechtlich bindend, sieht das Abkommen keine Sanktionen gegen Staaten vor, die sich nicht daran halten. Zudem widersprechen sich die Artikel 2 und 4. Während Artikel 4 besagt, dass die Treibhausgasemissionen in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts auf netto null kommen sollen, legt Artikel 2 fest, dass die Klimaerwärmung auf deutlich unter 2 Grad, wenn möglich auf 1,5 Grad, begrenzt werden soll. Da sich nun aber nach dem heutigen Wissensstand bei gleich bleibender Entwicklung im 21. Jahrhundert eine Klimaerwärmung von vier bis sechs Grad einstellen wird, wäre Artikel 2 gar nicht erfüllbar. Der deutsche Umweltjurist Felix Ekardt schlussfolgert daraus, dass in diesem Fall Artikel 2 übergeordnet ist. Darauf beruft sich Hänggi, der deshalb für die Gletscherinitiative das Jahr 2050 für den Ausstieg aus fossiler Energie festgesetzt hat. Ausnahmen sieht der provisorische Initiativtext vor, «soweit sichere Senken im Inland die entsprechende Menge Kohlenstoff der Atmosphäre dauerhaft entziehen».

Die Initiativgruppe um Hänggi plant die offizielle Lancierung und damit die Unterschriftensammlung für Anfang 2019. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die nötigen 100 000 Unterschriften in kurzer Zeit zusammenkommen. Ebenso wahrscheinlich ist aber auch, dass die Initiative, würde sie heute zur Abstimmung kommen, mit grosser Mehrheit abgelehnt würde. Hänggi ist dennoch zuversichtlich: «Es ist leider damit zu rechnen, dass es wie schon in den letzten Jahren schnell wärmer wird und zu mehr Extremwetterereignissen kommt. Das könnte zu einem Kippen der Stimmung führen.»

Zweitens: Divestment

Ebenfalls auf das Übereinkommen von Paris beruft sich die Nichtregierungsorganisation Artisans de la transition (Adlt) aus Fribourg, die im Mai dieses Jahres mit einem Bericht über die Investitionspolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) grosse mediale Präsenz erlangt hat. Hinter dem Bericht stehen Susana Jourdan und Jacques Mirenowicz. Die Ökonomin und der Neurowissenschaftler fördern gemeinsam mit einem kleinen Team seit 2002 die Divestmentbewegung in der Schweiz (siehe WOZ Nr. 20/17 ). Divestment steht für Desinvestment und macht sich die politische und ökonomische Kraft von Börseninvestitionen zunutze. Wenn grosse AnlegerInnen ihr Geld aus einer Branche zurückziehen, wird dieser die Grundlage für Investitionen entzogen. Erfolgreich erprobt ist dieses Modell in Zusammenhang mit der Abschaffung der Apartheid in Südafrika. Jourdan ergänzt: «Das Ziel der Desinvestmentkampagne ist vor allem, die Firmen in einen moralischen Bankrott zu treiben. Es geht darum, die öffentliche Meinung und die Politik zu überzeugen, dass diese Energieform nicht weiter verwendet werden darf und dafür an der Quelle statt bei den Endverbrauchern angesetzt werden muss.»

Neben dem Bericht zur SNB veröffentlicht Adlt halbjährlich das Magazin «La revue durable». Jourdan holt in ihrem Büro aus einer Kiste die Ausgabe vom Herbst 2015 hervor, die kurz vor dem Klimagipfel von Paris erschien. Auf dem Titelblatt ist eine Menge bunt zusammengewürfelter Menschen zu sehen, die ein Banner in die Höhe strecken: «Befreien wir uns von den fossilen Brennstoffen.» Jourdan sagt: «Paris war die Grundlage für alles. Im Abkommen ist festgehalten, dass die nationalen Finanzinstitute ihre Investitionspolitik dem ‹Deutlich unter 2 Grad›-Ziel entsprechend anpassen müssen.»

Dieser Beschluss beginnt langsam zu greifen. Im Dezember 2017 haben acht grosse Zentralbanken ein Netzwerk ins Leben gerufen, das die Finanzmärkte auf die Bekämpfung des Klimawandels ausrichtet. Am selben Tag gab die Weltbank bekannt, ab 2019 die Finanzierung von Erdöl- und Erdgasinfrastrukturen einzustellen. Susana Jourdan nimmt den Bericht zur SNB zur Hand und sagt mit etwas lauterer Stimme: «Die Nationalbank hingegen widersetzt sich diesen Verpflichtungen.» Obwohl das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bereits 2015 in einem öffentlich zugänglichen Bericht festgestellt hat, dass die aktuelle Investitionspolitik des Schweizer Finanzplatzes einer Klimaerwärmung von vier bis sechs Grad entspricht, weigert sich die SNB, etwas an ihrer Investitionspolitik zu ändern.

Die SNB verwaltete Ende 2017 rund 843 Milliarden Franken und damit eines der zehn grössten Vermögen der Welt. Durch ihre Investitionen in die Fossilindustrie, zu der Konzerne wie Exxon Mobil oder Chevron gehören, ist sie nach der gängigen Rechenmethode jährlich für mehr CO2-Emissionen als die gesamte Schweiz verantwortlich. «Durch ihr Gewicht ist die SNB für den Finanzplatz Schweiz normgebend», sagt Jacques Mirenowicz. «Es erstaunt deshalb nicht, dass nicht nur sie, sondern der gesamte Finanzplatz inklusive der Vorsorgeeinrichtungen eine ähnliche Investitionspolitik verfolgt.»

Die SNB aber schweigt. Wie also weiter? Jourdan spricht in ihrer Antwort von der Gesellschaft: «Nur sie kann den nötigen Druck verursachen und die Politik und damit die SNB in die Pflicht nehmen.» Sie sieht neben dem direkten politischen Druck, den Adlt mit den Berichten auszuüben versucht, deshalb genau darin ihre weitere Arbeit: «Ermächtigung der Gesellschaft für den Schritt aus der Ohnmacht durch Information und Handlungsmöglichkeiten.»

Drittens: Ziviler Ungehorsam

Die OrganisatorInnen der «Climate Games» in Basel und Umgebung propagieren den zivilen Ungehorsam. Seit einigen Tagen und noch bis am 13. August tauschen sich in Pratteln Menschen über die Möglichkeiten im Kampf gegen die Klimaerwärmung aus. Workshops wechseln sich ab mit Lesungen oder Konzerten. «Wir wollen einen öffentlichen Raum schaffen, wo verschiedene Strategien gegen den Klimawandel diskutiert werden können», sagt Marc, einer der OrganisatorInnen. Die Gesellschaft stehe nicht nur vor der Aufgabe, die Fossilindustrie zu entmachten, sondern es müssten auch andere Formen des Wirtschaftens, des Zusammenlebens, der Mobilität oder der Landwirtschaft gefunden werden.

Für den 11. und den 12. August rufen die «Climate Games» zu einer Blockierung des Basler Ölhafens in Birsfelden auf – dieses bedeutenden Einfuhrhafens, durch den mehr als ein Drittel des gesamten Mineralöls in die Schweiz kommt. «Artikel 2 der Bundesverfassung besagt, dass es Auftrag des Staats sei, sich für eine dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen einzusetzen», erklärt Marc. «Wenn er dieser Pflicht nicht nachkommt, muss man verstehen, dass Menschen aktiv werden und ihn dazu drängen möchten.» Die «Climate Games» verstünden sich deshalb als Teil einer übergeordneten Bewegung, in der sich weltweit unzählige Gruppen wie Ende Gelände oder Via Campesina gegen Grosskonzerne zur Wehr setzen und versuchen, Alternativen aufzuzeigen.

Zum verbreiteten Vorwurf der Gewaltbereitschaft vieler AktivistInnen sagt Marc: «Heute blickt die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft stolz auf Errungenschaften wie die Anerkennung der allgemeinen Menschenrechte, die Abschaffung der Sklaverei, die Einführung des Frauenstimmrechts und zuletzt die Abschaffung des Abtreibungsverbots in Irland zurück, Ereignisse, denen allesamt grosse Protestbewegungen vorausgingen. Gleichzeitig wird aber jeder aktuelle Protest als Störung, Gewaltakt und Gefahr für das Wirtschaftswachstum gesehen.»

Marcel Hänggi meint dazu: «Man muss zwischen Illegalität und Illegitimität unterscheiden. Unsere Wirtschaftsweise ist nicht in Stein gemeisselt, die Naturgesetze schon. Je mehr Menschen gewaltfrei – Proteste und Blockaden sind keine Gewalt – für die Dekarbonisierung einstehen, desto eher gelingt es uns, diese Naturgesetze zu akzeptieren.»

«Climate Games» in Pratteln bei Basel: Gallenweg 8. Bis Montag, 13. August 2018. www.climategames.ch

Grossaktion im Basler Ölhafen in Birsfelden: Fr, 10. und Sa, 11. August 2018.