Gewerkschaften in Russland: Als «ausländischer Agent» aufgelöst
Das Urteil ist für Russland ein Novum: Erstmals, seit 2012 das «Gesetz gegen ausländische Agenten» in Kraft getreten ist, hat ein Gericht in St. Petersburg die Auflösung einer Gewerkschaft verfügt. Wegen ihrer «politischen Tätigkeit» und Finanzierung aus dem Ausland – in diesem Fall durch den Gewerkschaftsbund IndustriAll mit Sitz in Genf – haben die Richter die Überregionale Gewerkschaft der Arbeiterassoziation (MPRA) mit rund 4000 Mitgliedern in Dutzenden Regionen des Landes verboten. Üblicherweise werden unter dieser Gesetzgebung nichtkommerzielle Organisationen, denen Geldflüsse aus dem Ausland vorgeworfen werden, nicht gleich dichtgemacht; sie müssen sich aber in ein entsprechendes Register für «ausländische Agenten» eintragen.
Gerade in den ersten Jahren nach ihrer Gründung im Jahr 2006 sorgte die MPRA für Aufsehen. Eine ihrer wichtigsten Aktionen war ein Streik im Ford-Werk bei St. Petersburg: Mehrere Wochen lang blockierten AktivistInnen den Eingang zur Fabrik und sorgten für einen Unterbruch der Automobilproduktion. Am Ende erhielten die Angestellten unter anderem elf Prozent mehr Lohn. Später wurde es um die GewerkschafterInnen immer stiller, die zunehmende Wirtschaftskrise in Russland und der immer weiter steigende Druck seitens der Regierung liessen viele zurückhaltender werden. Zuletzt unterstützte die MPRA Proteste von Lastwagenfahrern gegen die Einführung eines staatlichen Mautsystems und Aktionen von ÄrztInnen gegen Sparmassnahmen im Gesundheitswesen.
Die Gewerkschaftsführung hat gegen das Urteil Berufung eingelegt; über das Fortbestehen der Organisation muss nun zunächst Russlands oberstes Gericht entscheiden. Alarmierend ist der Umgang mit der ArbeiterInnenvertretung auch deshalb, weil er eine wachsende Nervosität der Behörden offenbart. Je prekärer die wirtschaftliche Situation im Land wird, desto mehr fürchten sie eine steigende Mobilisierung der ArbeiterInnen.
Mobilisiert hat das Verbot der MPRA zunächst vor allem linke Kreise. Am vergangenen Freitag fand in Moskau und einigen anderen Städten des Landes die traditionelle jährliche antifaschistische Kundgebung statt. Immer am 19. Januar gedenken die AktivistInnen einer Journalistin und eines Menschenrechtsanwalts, die vor neun Jahren von Neonazis ermordet wurden und deren Tod noch immer nicht aufgeklärt ist. In diesem Jahr fand sich an der Demonstration in Moskau ein Block zusammen, der Solidarität mit der von den Behörden schikanierten Arbeiterassoziation forderte.