Namensstreit um Mazedonien: «Schutzraum für faschistische Angriffe»

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Unter dem Motto «Mazedonien ist griechisch» sind in Athen Hunderttausende Menschen auf die Strasse gegangen. Die griechische Rechte feiert dabei ihren grössten Mobilisierungserfolg seit Jahren.

Viele ZuschauerInnen werden sich beim Eurovision Song Contest regelmässig über die umständliche Bezeichnung «Former Yugoslav Republic of Macedonia» wundern. Dieser Name hat viel mit den griechischen DemonstrantInnen zu tun, die in den vergangenen Tagen fahnenschwenkend durch Athen und Thessaloniki marschierten.

Nach dem Zerfall Jugoslawiens gab sich die ehemalige Teilrepublik den Namen «Republik Mazedonien», der von Griechenland nicht anerkannt wird. Obwohl Mazedonien seit 2005 Beitrittskandidat der EU ist, wurde bislang kein einziges Verhandlungskapitel eröffnet, weil Griechenland alle Gespräche blockiert. Seit vergangenem Mai ist in Mazedonien eine neue Regierung an der Macht, die eine schnelle Integration in EU und Nato anstrebt und sich im Streit mit Griechenland kompromissbereit zeigt. Laut einer aktuellen Umfrage wären zudem 61 Prozent der mazedonischen Bevölkerung mit einer Umbenennung einverstanden, wenn dadurch das Tor zu EU und Nato geöffnet werde. Der neue Name sollte allerdings das Wort «Mazedonien» enthalten: Im Gespräch sind «Nord-Mazedonien», «Ober-Mazedonien» oder «Neu-Mazedonien».

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein mazedonischer Kollege Zoran Zaev betrachten den Namensstreit recht unaufgeregt. Ginge es nur um die beiden, könnten sie sich wahrscheinlich abends beim Bier auf eine Lösung einigen. Doch die griechischen NationalistInnen lehnen jede Lösung ab, die das Wort «Mazedonien» enthält. Auf die Frage, warum sie das tun, gibt es zwei Antworten.

Nach unten treten

Die offizielle Version: Griechenland habe als einziger Staat ein Anrecht auf das historische Erbe Alexanders des Grossen, die slawischen Nachbarn eigneten sich dieses Erbe zu Unrecht an. Ausserdem wird die Sorge geäussert, Mazedonien könnte Gebietsansprüche auf die gleichnamige nordgriechische Provinz anmelden, wobei kaum jemand glaubt, das militärisch schwache Nachbarland könne solchen Forderungen jemals Nachdruck verleihen. Die griechischen NationalistInnen zeigen sich aber schlichtweg auch deshalb so beharrlich, weil sie gerne nach unten treten. Man könnte sich übrigens sowieso fragen, wie sinnvoll es ist, seine nationale Identität aus Ereignissen zu konstruieren, die über 2300 Jahre her sind. Doch solche Fragen werden kaum gestellt.

Wes Geistes Kind die aktuellen Proteste in Griechenland sind, wurde derweil am 21. Januar in Thessaloniki deutlich, wo laut Polizeiangaben 90 000 Menschen unter dem Motto «Mazedonien ist griechisch» auf die Strasse gingen. Neben den Neonazis von Chrysi Avgi mobilisierten die rechtsnationalistische Regierungspartei Anel sowie Teile der konservativen Nea Dimokratia und der griechisch-orthodoxen Kirche. Am Rand der Kundgebung griffen TeilnehmerInnen das von AnarchistInnen besetzte Haus Libertatia an. Videoaufnahmen zeigen, wie Polizisten während des Angriffs unbeteiligt danebenstehen. Später brannte das denkmalgeschützte Gebäude komplett aus. Bei den Angreifern handelt es sich – den Transparenten nach zu urteilen – um Anhänger der Hooligangruppe Makedones des Fussballvereins Paok Thessaloniki. Die AktivistInnen aus dem «Libertatia» veröffentlichten im Anschluss an den Angriff eine Stellungnahme: «Ohne die Mazedoniendemo wären diese Angriffe der Faschisten nicht möglich gewesen, sie war ein Schutzraum für die Angriffe.» Eine Verurteilung der Attacke auf das linke Zentrum durch die Organisatoren erfolgte nicht.

EU-Mitgliedschaft verhindern

Letztlich ist die Mazedonienfrage vor allem eins: der grösste Mobilisierungserfolg der griechischen Rechten seit Jahren. Am Sonntag kamen in Athen laut Polizeiangaben noch einmal 140 000 Menschen zu einer ähnlichen Demonstration zusammen. Die Massenproteste richten sich auch als Warnhinweis an die rechtsnationalistische Anel, die mit Regierungschef Tsipras koaliert. Die Partei ist das Bündnis mit der linken Syriza eingegangen, um eine radikale Antiausteritätspolitik zu unterstützen. Dabei hat Anel zwei klare Bedingungen formuliert: Die Militärausgaben sollen nicht heruntergeschraubt werden, und unter keinen Umständen soll das Nachbarland mit dem Namen «Mazedonien» anerkannt werden.

Der russische Aussenminister Sergei Lawrow unterstützt die griechischen NationalistInnen derweil in ihren Forderungen, obwohl er zuvor – als in Mazedonien noch der prorussische Halbautokrat Nikola Gruevski an der Macht war – die mazedonischen NationalistInnen bestärkte, am Namen «Mazedonien» festzuhalten. Die nationalen Befindlichkeiten der slawischen Mazedonierinnen und der Griechen dürften dem russischen Aussenminister dabei ziemlich egal sein. Ihm geht es darum, eine baldige Mitgliedschaft Mazedoniens in der EU und der Nato zu verhindern und die proeuropäische und linksgerichtete Regierung Mazedoniens loszuwerden.