Rap: Liebevoll entmenschlicht
Die US-Rapperin Cupcakke bringt in ihren expliziten Tracks über Sex die Widersprüche zum Tanzen. Nun reflektiert sie ihren eigenen Erfolg, zumindest bis zur zweiten Strophe.
Man kann bei Cupcakke irgendwo anfangen, ihre derben Raps gehen zuverlässig schnell zur Sache: beim Dreier mit «daddy» und dem Teddybären etwa («Spoiled Milk Titties»), beim Penis, den sie wie eine Frühlingsrolle mit den Stäbchen packt («Deepthroat»), oder gleich bei ganzen Torten aus männlichem Geschlechtssekret («Duck Duck Goose»). Für solche grellen, nymphomanischen Kapriolen ist Cupcakke bekannt, daran wird auch ihr neustes Werk «Ephorize» nichts ändern. Nur stimmt sie ihr Ruf nun bisweilen auch nachdenklich.
Hinter Cupcakke verbirgt sich die zwanzigjährige Elizabeth Harris aus Chicago, die introvertiert, ja sogar schüchtern sein soll, in ihrer Jugend in Unterkünften für Obdachlose gewohnt hat und mit Depressionen kämpft. Die Figur Cupcakke sei für sie ein emotionaler Schutzschild gegen die Widrigkeiten des Lebens. Und auf diesem Schild standen von Anfang an drei grosse Buchstaben: SEX.
2015 stellte Cupcakke ein Video zu ihrem Song «Vagina» aufs Netz, in dem sie sich mit nahezu entblössten Brüsten und die Zunge an einem riesigen Lutscher auf einem Sofa räkelt. Als es erste Kritik für den übersexualisierten Text hagelte, setzte sie noch einen drauf – immer wieder. «Deepthroat», «Doggy Style», «Cumshot», schon ihre Songtitel lesen sich wie ein Panorama pornografischen Vokabulars. Anfang letzten Jahres erklärte sie auf Twitter (Name «Marilyn Monhoe»), in diesem Jahr so viele Schwänze blasen zu wollen, wie Jahre seit der Geburt Jesu vergangen seien. Resultat: unbekannt.
Im Selbstgespräch
Es ist leicht, die Haltung von Cupcakke zu Sex in einem politischen Kontext zu sehen. Immer schon hat die Rapperin in ihren Songs einen kritischen und emanzipatorischen Blick auf politisch brisante Themen geworfen: Cupcakke feiert sexuelle Vielfalt («LGBT», «Crayons»), verarbeitet von Missbrauch geprägte Beziehungen mit älteren Männern («Pedophile») oder prangert die Armut und Gewalt an, die ihre Kindheit in Chicagos South Side geprägt hatten («Scraps»).
Auch «Ephorize», das am aufwendigsten produzierte und raptechnisch beeindruckendste aller bisherigen Cupcakke-Alben, stellt erst einmal andere Themen in den Vordergrund, etwa bei der ersten Single «Exit», die vom Ende einer Liebesbeziehung handelt, oder dem Auftaktsong «2 Minutes», einer etwas zu gut gemeinten Motivationshymne für Zeiten «so dunkel wie eine Nachtschicht».
Doch wenn etwas durch ein virales Wurmloch geschossen wird, gehen solche Kontexte halt gerne unter. Darum geht es in «Self Interview», nicht zufällig in der Mitte von «Ephorize» platziert. Trotz all der Geschlechtsteile und Körpersäfte, von denen man auf diesem Album hört, klingt Cupcakke hier plötzlich auf eine persönliche Weise entblösst. Sie geht zurück zu dem Moment, als sie im Internet schlagartig bekannt wurde: «Es ist witzig, wie ein Mädchen mit einem fetten Arsch mehr Kommentare erhalten kann als ein einschlagender Hurrikan.» Um dann ernüchtert festzustellen, dass die meisten Leute diesen Song wohl sowieso schon übersprungen hätten, weil es darin nicht um Sex oder ums Töten gehe. Die Zeile entblösst zugleich auch uns als ZuhörerInnen, denn Hand aufs Herz: Wenn Sie Cupcakke schon zuvor gekannt hatten, wie haben Sie zum ersten Mal von ihr gehört?
In «Self Interview» geht es dann allerdings schon in der zweiten Strophe doch wieder um Sex – allerdings für einmal nicht im eigenen Bewusstseinsstrom, sondern aus der Distanz. Was folgt, ist eine feministische Kritik an den doppelten Standards, mit denen Frauen und Männer in ihrem Sexualverhalten beurteilt werden. Und an den Erwartungen an Frauen, Haut zu zeigen, ihr Gesicht aber mit Schminke zuzukleistern. Dann wirft man einen Blick zur Seite, auf das Albumcover von «Ephorize», auf dem sich Cupcakke als blau-fluoreszierende Puppe inszeniert. Es ist klar, in welche Richtung sie solchen Widersprüchen begegnet: mitten rein!
Wer Elizabeth Harris nach Cupcakkes Motivation fragt, wie es das britische Magazin «i-D» kürzlich tat, erhält ein aufrichtiges «get real» zur Antwort: «Wir haben eine Million Songs über Liebe und Geld und wie wir total verknallt zur Arbeit gehen. Aber was ist mit dem anderen Zeugs? Wie wir gefickt werden oder Polizeigewalt?» Es sagt einiges über Harris’ Lebenswelt aus, wenn sie zur Ausleuchtung solcher Grauzonen nur gerade ihre unmittelbare Umgebung beschreiben muss.
Doch wenn es ins Schlafzimmer geht, spürt man sofort, dass Cupcakke einiges mehr will, als bloss einem verdrängten Teil der menschlichen Existenz mehr Raum zu verschaffen. Zwar gibt sie auch die sexuell expliziten Passagen in ihrem aggressiven Flow und in angriffiger Stimmlage wieder, doch düster klingt sie dabei keineswegs. Eher werden Körperteile und Flüssigkeiten bei ihr zu Spielzeugen und zu Quellen von endlosem Spass. Mit sprachlichen Effekten werden die Körperteile psychedelisch verzerrt zu einer Kulisse von Cupcakkes Wunderland: Einmal sieht ihr Typ so viel Wasser, dass er gleich ein Kreuzfahrtschiff vom Stapel laufen lässt, und sie klettert bei ihm erst mal eine zehn Meter hohe Leiter hinauf.
Rap in der Kirche entdeckt
Von den Männern, die da mit Cupcakke ins Bett steigen, wird übrigens kein einziger mit Namen genannt – oder nur schon als Person. Das ist zwar entmenschlichend in dem Sinn, dass Körper zu blossem Material werden, doch sie werden dadurch nicht etwa degradiert. Denn niemand wird dabei erniedrigt – zumindest nicht einseitig. Mit Dominanz und Unterwerfung spielt Cupcakke ein wildes Pingpong. Beim Sex bringt sie die Widersprüche zum Tanzen.
Es klingt nach einem weiteren schrillen Widerspruch, wenn man weiss, woher Elizabeth Harris den Rap hat: aus der Kirche. Als Kind schon stark gläubig, trug sie dort zum ersten Mal vor Leuten eigene Texte vor – Gedichte über Gott. Ein Mitglied ihrer Kirchgemeinde sagte ihr eines Tages: «Poesie ist Rap.» Mit fünfzehn Jahren stellte sie ihr erstes Rapvideo online.
Doch auch wenn es kitschig klingt, könnte man sagen, dass es Cupcakke um so etwas wie universelle freie Liebe geht. Über der hitverdächtigen, von süssem Autotune-Gesang getragenen Hookline von «Total» fragt Cupcakke, worin der Wert liege, nicht alleine zu bleiben. Und: «Wie viel Liebe kannst du mir geben? Was ist das Total?» Diese totale Liebe, so scheint Cupcakke es in ihren Songs vorzuführen, kommt nicht von einem einzelnen Menschen, sondern pulsiert durch ein Meer liebevoll verknoteter Körper. Dass es dabei auch mal etwas härter zur Sache geht: Get real!
Cupcakke: Ephorize. 2018