Antiwaffenbewegung in den USA: Nie wieder Schüsse auf dem Campus

Nr. 9 –

Das Schulmassaker von Parkland bleibt vorläufig in den Schlagzeilen – dank der Überlebenden, die ihre Trauer und Wut in politische Aktion umwandeln. Den Weg für den Aktivismus bereitet hat die #MeToo-Bewegung.

Unmittelbar nach dem Schulmassaker vom 14. Februar in Parkland, Florida, bei dem drei Lehrer und vierzehn SchülerInnen getötet wurden, hat sich eine Gruppe von Überlebenden zu einer politischen Bewegung gegen Waffengewalt namens Never Again (Nie wieder) zusammengeschlossen. Die jungen AktivistInnen mussten so rasch handeln, weil sie wussten, dass das Medieninteresse an ihrer Tragödie nur kurz anhalten würde.

Die VertreterInnen der neuen Antiwaffenbewegung sind gewissermassen Profis, was Massenerschiessungen in US-Bildungseinrichtungen angeht. Sie kennen nichts anderes. Viele von ihnen waren noch gar nicht geboren, als im April 1999 zwei Schüler an der Columbine High School im US-Bundesstaat Colorado dreizehn Menschen töteten. Seither sind solche Schulschiessereien im US-Alltag traurige Routine geworden. Erst kommt jeweils das grosse Entsetzen nach dem Blutbad, dann folgt das kollektive Achselzucken von Politik und Medien: Da kann man leider nichts machen.

Massaker als Routine

Die AugenzeugInnen des Massakers von Parkland wollten diese Gleichgültigkeit nicht länger hinnehmen. Leidenschaftlich, sachkundig und kommunikationsgewandt starteten sie ihre Kampagne gegen Waffengewalt. Innerhalb kurzer Zeit hatte #NeverAgain rund drei Millionen US-Dollar gesammelt. Auf Twitter verzeichneten sie bald doppelt so viele FollowerInnen wie die mächtige Waffenlobbyorganisation National Rifle Association (NRA). Als Reaktion darauf haben bereits etliche US-amerikanische Fluglinien, Autovermieter, Versicherungen und Banken ihre Privilegien für NRA-Mitglieder aufgehoben. Die Verbindung zur Waffenlobby ist offenbar anrüchig geworden.

Wieso eigentlich erst jetzt? Schliesslich sind die WaffennärrInnen auch in den USA eine numerische Minderheit. Zwei Drittel der Bevölkerung sprechen sich in Umfragen regelmässig für strengere Kontrollen aus. Doch der Fanatismus des dritten Drittels, die Waffenindustrie, vertreten durch die NRA, und die Stimmen der mit Waffengeld gekauften PolitikerInnen verhindern seit Jahrzehnten pragmatische Lösungen und Kompromisse. Die NRA hatte im Kongress sogar durchsetzen können, dass der Forschung zu Waffengewalt Subventionen entzogen wurden und dass mit Staatsgeldern keine Werbung für Waffenkontrolle gemacht werdendarf. Die Datenlage zum persönlichen Waffenbesitz ist bewusst äusserst lückenhaft gehalten. Jedes Auto muss säuberlich registriert werden, neue FahrzeuglenkerInnen werden selbstverständlich geprüft. Bezüglich Waffen gibt es so gut wie keine Vorschriften. Auch nicht für die etwa fünfzehn Millionen Sturmgewehre, die sich zurzeit im Umlauf befinden.

Den harten Kern der WaffenfanatikerInnen werden die SchülerInnen aus Parkland kaum erreichen. Eine Waffenschau in Florida nur zehn Tage nach dem Massaker verzeichnete einen BesucherInnenrekord, wie das nach solchen Tragödien leider üblich ist, weil die Leute allfällige Einschränkungen ihrer totalen Waffenfreiheit befürchten. Präsident Donald Trump selbst entpuppte sich nach erstem Zögern als treue Stimme seines NRA-Herrn und verbreitete mit frischer Begeisterung eine alte Lieblingsidee der Waffenlobby: die Militarisierung der Schulen und die Bewaffnung zumindest eines Teils der LehrerInnen.

Die Opferrolle überwinden

Eine Woche nach der Tat waren SchülerInnen aus Parkland nach Tallahassee gereist, um eine Parlamentsdebatte zum Thema Waffengesetzreform mitzuverfolgen. Einige der Jugendlichen wischten sich Tränen ab, als die PolitikerInnen unbeeindruckt von der jüngsten Tragödie jegliche Verschärfung der Gesetze ablehnten. Nun erhielten sie Unterstützung von unerwarteter Seite. Am Mittwoch gab einer der grössten US-Waffenhändler bekannt, er werde den Verkauf von Sturmgewehren ganz einstellen und keine Waffen an unter 21-Jährige mehr abgeben. Und zwar aus Solidarität mit den Parkland Kids.

Für den 24. März ist ein nationaler Protestmarsch in Washington D. C. geplant. Ob die Bewegung darüber hinaus Bestand hat und wie sehr sie auf die Zwischenwahlen im Herbst Einfluss nehmen kann, ist schwer vorauszusehen. Die starken persönlichen Gefühle, die das politische Engagement in diesen ersten Wochen antrieben, werden ermüden. Andere Themen und Probleme und vielleicht sogar neue Bewegungen werden auf die politische Bühne der USA drängen. Doch das kann auch eine Stärke sein.

#NeverAgain ist nicht in einem politischen Vakuum entstanden, sondern im Umfeld von Bewegungen wie Occupy und Black Lives Matter. Die Bewegung stützt sich auf den Aktivismus der Dreamers, dieser über drei Millionen jungen Menschen, die als Kinder undokumentiert in die USA gekommen sind und denen nun die Ausweisung droht. Und unvergessen ist auch der Widerstand gegen umweltgefährdende Ölleitungen im IndianerInnenreservat Standing Rock.

Alle diese Bürgerrechtsbewegungen haben den Boden für #NeverAgain bereitet. Doch keine Gruppierung ist in dieser Hinsicht wohl bedeutsamer als #MeToo. Nicht zufällig überwiesen Promis aus dem #MeToo-Zentrum Hollywood wie Oprah Winfrey und Steven Spielberg als Erste 500 000-US-Dollar-Spenden an die neue Bewegung. Hier wie dort haben Direktbetroffene ihre Opferrolle überwunden und den gesellschaftlichen Notstand hinter ihrer persönlichen Erfahrung aufgedeckt.