Kino-Film «Matar a Jesús»: Annäherung an einen Mörder

Nr. 11 –

«Die sehen ja alle gleich aus», sagt Lita und starrt auf das Heft, das ihr der Polizist gegeben hat. Darin sind Fotos von «sicarios» eingeklebt, von jungen Männern, die im Auftrag töten. Litas Vater ist vor seinem Haus erschossen worden, sie selber hat das Gesicht des Mörders gesehen. Als sie ein paar Wochen später noch immer nichts von der Polizei gehört hat, schlägt die sonst so wortkarge 22-jährige Kunststudentin auf dem Polizeiposten alles nieder und schreit: «Welchen Namen muss man eigentlich haben in dieser Stadt, damit die Polizei etwas tut?»

Diese Stadt ist Medellín. Die kolumbianische Metropole hatte während der Zeit von Pablo Escobar und seinem Drogenkartell vor rund dreissig Jahren die höchste Mordrate weltweit. Und auch wenn sich die Situation heute stark verbessert hat – Korruption, Gewalt und Auftragsmorde gehören noch immer zum Alltag.

Als Lita Jesús, den Mörder, per Zufall in einer Disco wiedererkennt, beschliesst sie, ihren Vater selber zu rächen. Noch am selben Abend sucht sie die Nähe des stark betrunkenen jungen Mannes, setzt sich zu ihm aufs Mofa und taucht ein in eine Welt, die ihr als gutbürgerlich aufgewachsener Tochter eines politisch engagierten Professors bis dahin fremd war: das Medellín derjenigen, die nichts zu verlieren haben, weil sie nie etwas hatten. Erstaunlich furchtlos (oder leichtsinnig?) schreitet Lita durch dieses Medellín und wir mit ihr – jedoch stets mit der Angst, dass sie straucheln könnte.

Laura Mora erzählt in «Matar a Jesús» (Jesus töten) eine an sich sehr konventionelle Rachegeschichte, allerdings mit wunderschön leisen zwischenmenschlichen Tönen. So bleibt die Annäherung zwischen Jesús und Lita (fast) ohne sexuelle Komponente und bis am Ende sperrig und ambivalent. Stark sind die SchauspielerInnen Natasha Jaramillo und Giovanny Rodríguez, die ihren wortkargen Figuren eine erstaunliche Vielschichtigkeit geben. In einer der schönsten Szenen des Films liegt Lita auf dem Bett in Jesús’ schummriger kleiner Kammer. Er sitzt auf dem Boden, sie schweigen. Irgendwann sagt er: «Du bist das Seltsamste, was mir je begegnet ist. Aber ich mag dich. Du bist cool.»

Matar a Jesús. Regie: Laura Mora. Kolumbien/Argentinien 2017