Kost und Logis: Mentalitätsvergleich am Hund

Nr. 14 –

Bettina Dyttrich über gfürchig nette Berner Menschen und Tiere

Lange hielt ich es für ein Klischee. Aber jetzt, wo ich öfter im Bernbiet unterwegs bin, muss ich sagen: Es stimmt. Sie sind einfach netter, die Bernerinnen und Berner.

Das beginnt mit den charmanten Gassenleuten. Als ich einmal auf einer Treppe am Aarehang einen Junkie kreuzte, der gerade am Spritzen war, war ihm das sichtbar peinlich. «Sorry», seufzte er verlegen. Auch ist es in der Ostschweiz noch nie vorgekommen, dass sich ein Postautochauffeur an der Endhaltestelle über meine Schneeschuhe erkundigt und wir dann eine Viertelstunde lang ins Plaudern kommen. Oder dass ich beruflich mit einem SVP-Kantonsparlamentarier telefoniere und wir ein so vergnügtes Gespräch führen, dass ich ihn beinahe in meine WG zum Jassen eingeladen hätte. Dabei kann ich doch gar nicht jassen.

Im Thurgau dagegen beschimpfen sie sogar die Bäume. Wirklich wahr, ich habs gehört und gesehen. Der alte Mann stand auf der Leiter am Hochstamm und zeterte. Er sah ähnlich aus wie jener, der beim Aussteigen am Bahnhof Amriswil seiner Frau ins Gesicht fluchte.

Man sieht es ja schon an den Hunden. Der Appenzeller Sennenhund, in der ganzen Ostschweiz verbreitet, bellt wie besessen, kommt immer von hinten und beisst gern in Waden. Das hat er beim Kühetreiben gelernt, wendet es aber gern auch auf WanderInnen an. Es gibt Leute, die aus Prinzip nicht in der Ostschweiz wandern, weil sie Angst vor diesen Hunden haben.

Der Berner Sennenhund dagegen schläft vor dem Bauernhaus in der Sonne. Wenn jemand vorbeikommt, öffnet er ein Auge. Zum Aufstehen ist er zu faul, leider hat er auch Gelenkprobleme. Die BernerInnen haben ihn nach ihrem Wappentier gezüchtet, mehr Bär als Hund, und so heisst er auch: Bäri. Der Appenzeller heisst Bläss. Die Namen sagen alles über den Charakter: Blässss. Bäääri. «Bläss, hei!» (geh heim!), diesen Befehl lernte ich schon als Kind. Funktioniert hat er nie.

Doch hinter der Berner Nettigkeit verbirgt sich womöglich Gfürchiges. Wie kürzlich in der S-Bahn nach Belp: Auf der einen Seite döst ein ziemlich verladenes Junkiepärchen, auf der anderen liest ein unauffälliger Mann «20 Minuten». Die Frau schreckt auf und fragt den Zeitungsleser, wo man sei. «Kehrsatz Nord», sagt er, sie bedankt sich überschwänglich. Fragt ihn, was in der Zeitung stehe – die ist voll mit Berichten über den Mörder von Rupperswil. Da wäre die Todesstrafe schon angebracht, betont der Zeitungsleser, und die Junkiefrau überbietet ihn noch: Eier abschneiden! Zu Tode foltern! Man versteht sich gut, wird auch nicht laut, sondern spricht gemütlich breites Berndeutsch.

Dann muss das Paar aussteigen, die Frau und der Zeitungsleser verabschieden einander sehr herzlich: «Schöne-n-Abe! Nüt z danke! Hebet euch Sorg!» Was für eine schöne Begegnung zwischen einer «Randständigen» und einem braven Bürger – hätte ich gedacht, wenn ich die Sprache nicht verstanden hätte.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.