Kost und Logis : Die Frequenzen der Fledermäuse

Nr. 50 –

Bettina Dyttrich über das Schreiben über das Wandern

«Schreib nicht immer über Bauern, schreib wieder mal über das Wandern», hat sie gesagt. Sie hat recht. Aber ich bin vorbelastet. Mein Wanderbuch «Kreuz und quer durchs Toggenburg» (Rotpunktverlag 2005) steckt mir noch in den Knochen. Es trieb mich damals fast zur Verzweiflung: Wie lassen sich Wanderungen so beschreiben, dass die Leute den Weg auch wirklich finden, aber das Ganze doch nicht wie ein Schulaufsatz tönt? Ich kam mir vor wie eine Primarschülerin, die möglichst viele Synonyme für «gehen» suchen muss. Und dann versuchte ich auch noch, die Wanderanleitungen mit Informationen über die Gegend zu verknüpfen. Heute würde ich das trennen. Heute weiss ich auch, dass das Beschreiben einer Landschaft etwas vom Schwierigsten überhaupt ist.

Diesen Frühling lag ein Päckli in meinem Postfach: Ulrich Grober schickte mir sein Buch «Vom Wandern. Neue Wege zu einer alten Kunst», 2006 im Verlag Zweitausendeins erschienen, jetzt als Taschenbuch bei Rowohlt. Ich hatte es nicht bestellt. Aber er hat wohl meinen Texten angemerkt, dass ich genauso leidenschaftlich wandere wie er. Im Buch erzählt Grober von seinen Wanderungen: barfuss an der Ostsee. Mit Schneeschuhen im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet. Quer über die Alpen, vom Allgäu nach Chiavenna. Mit Kindern folgt er auf der Schwäbischen Alb einem Fluss von der Quelle bis zur Mündung. Dazwischen gibt er Tipps zur Ausrüstung, beleuchtet Pilgertraditionen, porträtiert historische WanderInnen von Ötzi bis zur Romantikerin (und Kampfwanderin) Bettina von Arnim. Manchmal etwas zu ausführlich, manchmal etwas zu viel Selbstfindung, aber vor allem schön, anschaulich und so gar nicht wie ein Schulaufsatz. Wenn er im Juni tagelang der ehemaligen innerdeutschen Grenze entlangwandert und dabei den Kontrast zwischen der blühenden Landschaft und den Atomkriegsplänen der jüngeren Vergangenheit beschreibt, sehe ich jeden Hügel vor mir und kann fast die Holunderblüten riechen. Ausserdem ist Grober ein Naturkundler von der Sorte, die es kaum noch gibt: einer, der an herumliegenden Federn erkennt, welcher Greifvogel hier welchen Singvogel gejagt hat, und der jede Pflanze am Wegrand bestimmen kann.

Dass «ökologisches Bewusstsein» nötig ist, wissen alle. Aber das rationale Wissen genügt nicht: Es braucht auch Liebe zu dem, was bedroht ist. Dass ernsthaftes Wandern dazu führen kann, weiss Grober, und ich stimme ihm zu. Wenn er Fledermäuse beschreibt, zum Beispiel: «Diese wunderbaren, grauseidenen Geschöpfe, diese Nervenbündel und Wunder an Überempfindlichkeit, die es lange vor uns gab, die uns durch die Evolution begleitet haben und sich nun lautlos – jedenfalls, ohne dass wir sie hören könnten – verabschieden.» Denn sie schreien in Frequenzen, die zu hoch sind für unsere Ohren.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.