Von oben herab: Gipfeltreffen

Nr. 18 –

Stefan Gärtner über die historische Begegnung zweier Staatschefs

Es war der Gipfel des Jahres: das Treffen zwischen dem Präsidenten aus dem Norden und dem aus dem Süden. «Der Frühling ist angebrochen», begrüsste der Schweizer Bundespräsident Alain Berset das deutsche Staatsoberhaupt, das alle bloss als «Ödmann von Bellevue» kennen und das sich aber nun als «gewiefter Diplomat» («Süddeutsche Zeitung») zu erkennen gab.

Steinmeier, der «Nüchterne Führer» seines im Kopf völlig verarmten, von obrigkeitsfreundlichen Medien und einem auf die Bedürfnisse des Regimes zugeschnittenen Bildungssystem in Unwissenheit gehaltenen Volkes, sagte zu Berset, er sei «erfüllt von Gefühlsaufwallungen», und kündigte eine «offene, ernsthafte und ehrliche, aber auch aufrichtige und unverlogene, in den Grenzen des Möglichen schöne, vorbildliche und vorausschauende Haltung» an. Anschliessend überschritt er Hand in Hand mit seinem Schweizer Kollegen die Grenze zum Norden, bevor es zu «Reto’s Cervelat-Station» auf der südlichen Seite der Grenze ging. Dort trug Steinmeier sich in sehr gut lesbarer Schrift in das Gästebuch ein: «Eine neue Geschichte beginnt jetzt, eine, wie ich sagen möchte und wie ich hoffentlich sagen darf, unendliche Geschichte, eine Ära, eine Epoche und ein Zeitalter, ein Ausgangs- und Startpunkt für Frieden, Freiheit, Sonnenschein, Mass- und Schritthalten.» Der Süden hofft, Steinmeier werde sein Atombusenprogramm intensivieren, mit dem er seiner von Rücksicht und dürren Worten geprägten Herrschaft «ein wenig Feuer» (FAZ) geben will. Eine massvolle Erhöhung der erotischen Spannungen zwischen den Nachbarländern war denn auch erklärtes Zentralthema des Gipfels: Noch vor wenigen Monaten war es zwischen Steinmeier und US-Präsident Donald Trump zu einem (versehentlichen) Wortwechsel darüber gekommen, wer von beiden die grössere «Rakete» habe, und Berset hatte dies «mit Neid» (NZZ) verfolgt.

Der Süden war akribisch auf die bedeutsamen Gespräche vorbereitet. So war der Sitzungstisch genau 2018 Millimeter breit. «2018 muss eine historische Zahl werden», erklärte Berset, «denn um 20 Uhr 18 musste ich als Kind immer ins Bett. Sogar mit siebzehn noch! Heute bin ich Präsident und gehe endlich ins Bett, wann ich will, manchmal sogar erst gegen Mitternacht. Diese Freiheit ist es, für die ich heute einstehe.» Nach den morgendlichen Gesprächen überquerte Steinmeier in Begleitung von drei Dutzend Aktenkoffern für ein karges, aber nahrhaftes Mittagessen wieder die Grenze in den Norden. Danach pflanzte er mit seinem Kollegen an der Grenze eine symbolische Buche. «Die Buche gilt als äusserst langweilig», so eine Expertin für Baumsymbolik, «und trotzdem blüht sie. Das will natürlich irgendetwas heissen.»

Schon vor dem historischen Treffen hatte Steinmeier seine Bereitschaft signalisiert, Berset in Zürich zu besuchen. Berset hatte geantwortet, er könne Steinmeier «sogar noch Schöneres als diese wunderbar gesicherte Grenze bieten, wenn Sie zu uns in die ‹Kronenhalle› kommen». Steinmeier soll gesagt haben: «Wirklich? Ich werde jederzeit in die ‹Kronenhalle› kommen, wenn Sie mich einladen.» Beobachter werten dies als äusserst geschickten Schachzug: Der Berliner Potentat komme endlich einmal in die Kronenhalle, müsse aber nichts dafür bezahlen. «Ich zahle sowieso nichts», so wiederum Alain Berset mit einem halben Augenzwinkern, das, falls nichts dazwischenkommt, unter Umständen in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.