Von oben herab: Schweizer Gardinen

Nr. 21 –

Stefan Gärtner über die Niederlage gegen Schweden

Mein Fussballinteresse hat sich ja, wie berichtet, nahezu verflüchtigt; aber vom Final nicht mal was gemerkt zu haben, ausgetragen zwischen, überraschend genug, der Schweiz und Schweden! Und wo es doch 2 : 3 geendet hat, für die Schweiz so unglücklich knapp wie für Deutschland das legendäre Endspiel 86, das Argentinien beim Stand von 2 : 0 bereits gewonnen hatte, aber dann Rummenigge, 2 : 1, und Rudi Völler, 2 : 2! Es gibt den einen «glücklichsten Moment» im Leben vermutlich nicht, aber wenn ich ein paar notieren müsste, gehörte dieses 2 : 2 dazu. Ich war zwölf, und ich habe geweint. Der unvergessliche TV-Kommentar Rolf Kramers (ZDF), noch im Überschwang der Gentleman, der von heutigen Reportertribünen bekanntlich verschwunden ist: «Ist denn das die Möglichkeit!»

Drei Minuten später sagte Rolf Kramer leider noch mal etwas Unvergessliches: «Toni», gemeint: Schumacher, «halt den Ball. Nein.» Maradona, der das ganze Spiel über nicht weiter aufgefallen war, hatte kurz vor Schluss diesen einen Glanzpass auf Burruchaga geschlagen, der dann, bei fünfzig Grad im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt, von Hans-Peter Briegel nicht mehr eingeholt werden konnte. 2 : 3, Ende. Vermutlich habe ich noch mal geweint, ich weiss es nicht mehr. Ich kann also gut verstehen, wenn … Regie, was gibts? Wie? Nicht Fussball, Eishockey? War da eine WM?

Egal. Ich kann Schweizer Zwölfjährige, die angesichts eines knapp verlorenen Endspiels Tränen vergiessen, trotzdem verstehen; sie können Adornos gute Einwände gegen den Sport als Stifter von Leistungsverblendung und Volksgemeinschaftlichkeit ja später noch lesen. Und Schweiz gegen Schweden ist im Eishockey vermutlich so was wie im Fussball Deutschland gegen Italien, mit dem Unterschied, dass Deutschland und Italien nicht ständig miteinander verwechselt werden. Würde man Donald Trump fragen, was er von schwedischem Käse hält, würde er den Irrtum gar nicht bemerken, sondern gleich auf die «Schwuchtelmusik von Abba» schimpfen, und dass Kurt Tucholsky sich nicht im Engadin vergiftet hat, kümmert auch nur die wenigsten. (Kurt Tucholsky? Nein, nicht der Bayern-Spieler. Der heisst Robert Lewandowski. Und der hat auch nicht «Augen in der Grossstadt» geschrieben, sondern eine sehr bedeutsame Bachelorarbeit mit dem Titel «Der Weg zum Ruhm». Bitte sehr.)

Dass sich der bettelarme afrikanische Zwergstaat Swasiland neuerdings «eSwatini» nennt, weil er nicht mit der Schweiz verwechselt werden will, hat wohl eher was mit gestörter Selbstwahrnehmung zu tun. Aber die Schweiz und Schweden, SUI und SWE, sind doch wirklich eineiig: eigene Währung, prima Neutralität, hervorragende Demokratie; in beiden Ländern wird ein seltsamer deutscher Dialekt gesprochen, und Fremde sind immer weniger willkommen.

Schweden, das ist letztlich die Schweiz mit König und Mücken; die Schweiz wiederum ist bloss ein noch viel teureres Schweden. Mein Freund Ruedi Widmergren hat sowohl die schwedische als auch die schweizerische Staatsbürgerschaft und gilt als intimer Kenner, wenn auch nicht von Schweden; für eine Umbenennung der Schweiz, etwa in «Confoederatio Tobleronica», «Heidistan» oder «Tax Paradise», hat er wenig übrig: «Ich merke es mir so: Bin ich zu Hause, bin ich in der Schweiz. Bin ich wo, wo grosse, freizügige Blondinen alles von den Shout Out Louds auswendig können, bin ich mal wieder bei der Arbeit eingeschlafen. Bitte nicht wecken!»

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.