AHV-Steuer-Deal: «Es braucht eine Offensive von links»
Innerhalb der SP sorgt der AHV-Steuer-Deal für Konflikte: Ist er der grosse Durchbruch – oder unterstützt man damit fahrlässig das Schweizer Steuerdumpingmodell? Nationalrätin Mattea Meyer und Ständerätin Anita Fetz im Streitgespräch.
WOZ: Frau Fetz, Sie sitzen in der Wirtschaftskommission des Ständerats (WAK), die den AHV-Steuer-Deal ausgehandelt hat. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis?
Anita Fetz: Ich formuliere es mal so: Es ist nur die zweitbeste Lösung. Insgesamt aber kann ich zum Kompromiss stehen.
Was wäre die beste Lösung gewesen?
Fetz: Wenn man die weitere Anheizung des interkantonalen Steuerwettbewerbs durch den Bund hätte verhindern können. Idealerweise würde die Milliarde, mit der der Bund die Kantone subventioniert, an eine Auflage geknüpft – daran, dass die Gewinnsteuern nicht unter eine gewisse Grenze gesenkt werden dürfen. Doch da haben wir bei informellen Gesprächen auf Granit gebissen. Es war deshalb rasch klar, dass eine andere Lösung hermuss. Wir haben erreicht, dass das Kapitaleinlageprinzip beschränkt wird, das halte ich für enorm wichtig. Schliesslich bescherte uns das bei der Unternehmenssteuerreform II die ganz grossen Steuerausfälle. Deshalb finde ich den Deal auch auf der steuerpolitischen Schiene vertretbar.
Frau Meyer, was halten Sie vom Deal?
Mattea Meyer: Ich anerkenne, dass es im Vergleich zur gescheiterten USR III gewisse Verbesserungen gibt, insbesondere beim Kapitaleinlageprinzip. Aber die Steuervorlage 17 ist in den wesentlichen Punkten eine verpasste Chance. Wir haben es weder geschafft, das Steuerdumpingmodell der Schweiz zu beenden, mit dem das Land international Steuersubstrat zerstört und dem Globalen Süden genauso schadet wie der Bevölkerung hier …
Fetz: Dann sag mir doch bitte, wie du das im Rahmen dieser Vorlage ausgehandelt hättest!
Meyer: Dazu komme ich gleich, ich war noch nicht ganz fertig. Wir haben es auch nicht geschafft, uns aus der Geiselhaft der Konzerne zu befreien. Stattdessen ersetzen wir einfach die alten Privilegien durch neue, die uns wieder erpressbar machen. Ich weiss, wie hart es ist, gegen eine bürgerliche Wand zu reden. Trotzdem finde ich es gefährlich, wenn wir als SP einen solchen Deal mittragen. Die vorgesehenen Steuerschlupflöcher wie die Patentbox oder der Abzug auf Eigenfinanzierung haben nur eines zum Ziel: die Bemessungsgrundlage – also das, worauf überhaupt Steuern bezahlt werden – zu schmälern. Mit dem Vorschlag können die grossen Konzerne weiterhin bis zu siebzig Prozent der Gewinne steuerfrei ausschütten! Zusätzlich gibt der Bund den Kantonen eine Milliarde, damit sie ihre Gewinnsteuern für alle Firmen senken können. Das führt zu Milliardenausfällen, die irgendjemand bezahlen muss – und dieser Irgendjemand ist die Bevölkerung. Ich bin überzeugt, dass wir ohne die Verknüpfung der beiden Geschäfte eine grössere Verhandlungsmacht gehabt hätten. Was wir bei der AHV jetzt herausgeholt haben, hat uns auf der steuerpolitischen Ebene massiv geschwächt.
Der Druck der Rechten ist doch bei beiden Geschäften enorm.
Fetz: Der Druck der Rechten im Parlament ist gewaltig. Gerade bei der AHV. Wir hätten nichts erreicht, wenn wir ihnen bei der Steuervorlage nicht ein Stück weit entgegengekommen wären. Man muss den Hintergrund dieses Deals sehen: Gegen die Vorlage des Bundesrats wäre von links und rechts das Referendum ergriffen worden. Namentlich Magdalena Martullo-Blochers Lobbygruppe Swiss Family Business trat bei den Dividenden knallhart für ihre Interessen ein. Nun haben wir eine Variante, die die Rechte ein Stück weit in Schach hält. Wenn du den Kopf rausstreckst und bei einem Kompromiss mitmachst, machst du dich nun einmal angreifbar. C’est la Realpolitik. Damit habe ich null Mühe.
Meyer: Ich habe einfach diese Euphorie nach dem Deal nicht verstanden. Gerade bei der Dividendenbesteuerung ist die WAK im Vergleich zum Bundesratsvorschlag den Aktionären entgegengekommen. Alle wissen, dass der Bundesrat bei den Steuerprivilegien handeln muss, der Druck ist hoch. Wir haben bei der Abstimmung über die USR III sechzig Prozent gemacht, gegen alle rechts von uns. Das gäbe uns doch eine gewisse Verhandlungsmacht.
Warum gelang es der Linken nach diesem Riesenerfolg bei der USR III nicht, das Steuer herumzureissen? Warum hat man keine steuerpolitische Offensive lanciert?
Meyer: Ueli Maurer hat die Linken rasch mit dem Zückerchen der Familienzulagen geködert, schon das fand ich abstrus. Auch jetzt vermischt man zwei völlig sachfremde Themen. Man gibt der Linken bei der AHV etwas, wofür wir jahrelang gekämpft haben, und die Konzerne und Aktionäre bekommen dafür Steuergeschenke in Milliardenhöhe.
Fetz: Seien wir doch ehrlich: Wir hatten verschiedene Steuerinitiativen – alle abgelehnt. Ich verstehe es, wenn die Leute enttäuscht sind von der Vorlage. Hätte ich selber entscheiden können, wäre sie ganz anders herausgekommen. Aber man muss nüchtern sein! Die Kantone treiben das Steuerdumping unabhängig von dieser Vorlage voran. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man den Steuerwettbewerb mit einer nationalen Vorlage stoppen kann. Nehmen wir doch meinen Kanton, Basel-Stadt: Mit der Steuervorlage 17 kriegt er die Patentboxen, dennoch will die Regierung mit den Unternehmenssteuern von 21 auf 13 Prozent runter. Das muss die SP nun halt auf kantonaler Ebene bekämpfen. Mit dem Kompromiss gibt es eine neue Ausgangslage, die von den Kantonalparteien genutzt werden kann.
Die Linken verkauften den Deal als Grosserfolg für die AHV. Schnell hiess es: Die Erhöhung des Frauenrentenalters sei nun erst mal vom Tisch. Bürgerliche Politiker haben das inzwischen verneint: Wurde das Frauenrentenalter in der WAK überhaupt diskutiert, Frau Fetz?
Fetz: Nein, der Deal lautet: zwei Milliarden für die AHV – jedes Jahr.
Meyer: Wir haben jetzt einfach vier Jahre mehr Luft.
Fetz: Die AHV wird finanziell stabilisiert, aber sie wird früher oder später dennoch reformiert, und dann kommt auch die Erhöhung des Frauenrentenalters wieder auf den Tisch, da muss man den Leuten nichts vormachen. Nur haben wir dann die besseren Möglichkeiten, eine soziale Abfederung für die schlechter verdienenden Frauen hineinzubringen. Dieser soziale Ausgleich ist nötig, dann ist für mich die Erhöhung des Frauenrentenalters kein Stein des Anstosses mehr, zumal wir ja nun mit etwas Würgen auch die Lohngleichheitsvorlage durchgebracht haben.
Meyer: Das Wichtigste ist hier, dass Frauen endlich eine anständige Altersvorsorge bekommen. Und dafür braucht es bessere Massnahmen, um bezahlte Arbeit besser zu verteilen. Lohnungleichheit und ungleiche Arbeitsverteilung schaffen die Ungleichheit im Alter ja erst.
Dennoch: Die SP ist den Deal für ziemlich spärliche Zugeständnisse eingegangen.
Fetz: Das stimmt so nicht! Dass wir eine Erhöhung der Lohnprozente erreicht haben, ist ein bemerkenswerter Erfolg für die Linken. Viele Leute verstehen nicht, wie die AHV funktioniert. Man wirft uns vor, dass die Arbeitnehmenden mitbezahlen. Das stimmt! Aber man vergisst, dass neunzig Prozent der Leute nie so viel in die AHV einbezahlen, wie sie einmal beziehen werden. Die Erhöhung der Lohnprozente ist eine Umverteilung von Reich zu Arm. Die zwei Milliarden bezahlen praktisch die sieben bis zehn Prozent Grossverdiener.
Meyer: Ich bestreite ja gar nicht, dass es auf der AHV-Seite Gewinne gibt. Aber mich stört, wie die WAK den Deal verkauft hat. WAK-Präsident Pirmin Bischof hat sich nach den Verhandlungen hingestellt und erzählt, man habe eine Gegenfinanzierung beschlossen. Aber von einer Gegenfinanzierung zu reden, ist absolut absurd! Die Vorlage kostet vier Milliarden Franken, die zum grössten Teil von der Bevölkerung bezahlt werden. Eine Gegenfinanzierung würde heissen, dass die Steuerausfälle durch die Konzerne kompensiert werden.
Fetz: Ich habe nie von einer Gegenfinanzierung gesprochen. Was Bischof kommuniziert, kann ich leider nicht kontrollieren. Ich sage einfach: Wir haben das Beste herausgeholt, was möglich war. Und das Ergebnis ist gut. Der Arbeitgeberverband schimpft, dass sich die Bürgerlichen über den Tisch haben ziehen lassen.
Man hat hier zwei völlig sachfremde Geschäfte miteinander verknüpft. Ist das – sollte es zu einem Referendum kommen – demokratiepolitisch nicht heikel?
Fetz: Das ist anspruchsvoll, aber üblich. Es gibt immer wieder Vorlagen mit sachfremden Elementen, das liegt in der Natur von Kompromissen. Auch die Vorlage des Bundesrats hat mit den Familienzulagen zwei Themen verbunden. Und wir stimmen auch über Sparpakete mit Dutzenden von einzelnen Gesetzen zu unterschiedlichsten Bereichen ab.
Meyer: Bei Abbaupaketen geht es aber zumindest im Grundsatz ums Gleiche. Hier hingegen strapaziert man die Demokratie schon arg. Es ist aus staatspolitischer Perspektive äusserst fragwürdig, wenn man die Leute in der gleichen Vorlage darüber abstimmen lässt, wie sie ihre AHV in Zukunft finanziert haben wollen und wie sich die Unternehmen an den Steuereinnahmen beteiligen sollen. Mich stört der Deal aber noch aus anderen Überlegungen: Die Möglichkeit eines Referendums wird damit ausgebremst. Und selbst wenn es zu einem Referendum kommen sollte und dieses angenommen würde, wäre nichts gewonnen. Wir stünden bei beiden Geschäften wieder auf Feld eins. Das finde ich frustrierend.
Fetz: Ich verstehe den Frust sehr gut. Aber mit dem Kompromiss würde beim Bund die Dividendensteuer erhöht, die Steuerentlastungsgrenze würde entschärft, die Beteiligungsentlastung wäre weg und – ganz wichtig – das Kapitaleinlageprinzip würde eingeschränkt. Bei einer Ablehnung der Vorlage werden die Kantone die Statusgesellschaften abschaffen und ihre Gewinnsteuern noch mehr senken. Und bei der AHV-Reform stiege der Druck für Abbaumassnahmen enorm. – Würdest du denn einem Referendum zustimmen?
Meyer: Die Frage stellt sich noch nicht. Das Geschäft wird aktuell erst im Ständerat beraten. Ich kann mir aber nicht vorstellen, eine Vorlage zu unterstützen, die den interkantonalen Steuerwettbewerb weiter anheizt. Die Auseinandersetzung um die Steuervorlage 17 zeigt, dass es eine steuerpolitische Offensive von links braucht. Die Menschen spüren mit den Abbaupaketen in den Kantonen, dass die Steuerdumpingpolitik ans Lebendige geht. Sie haben genug, davon zeugt auch das Nein zur USR III.
Mattea Meyer (30) ist Nationalrätin aus dem Kanton Zürich, sie politisiert am linken, bewegungsnahen Rand der Partei.
Die Basler Ständerätin Anita Fetz (61) sitzt für die SP in der Wirtschaftskommission, die den AHV-Steuer-Deal ausgehandelt hat.
Umstrittener Deal
Der Ständerat berät diesen Donnerstag den AHV-Steuer-Deal seiner Kommission. Dieser verknüpft, zumindest ansatzweise, die beiden grossen Reformen, die letztes Jahr an der Urne durchgefallen sind: die Unternehmenssteuerreform III und die Altersvorsorge 2020.
Der Kern des Deals: Für jeden Franken, den Bund, Kantone und Gemeinden voraussichtlich durch die Steuervorlage 17 verlieren, soll ein Franken in die AHV fliessen. Vorgesehen sind die Erhöhung der Lohnbeiträge um je 0,15 Prozent für Arbeitgeber und Arbeitnehmende, die Zuweisung des gesamten Demografieprozents der Mehrwertsteuer an die AHV und die Erhöhung des Bundesbeitrags an die AHV auf 300 bis 400 Millionen Franken.
Der Deal wird von einer breiten Allianz getragen, ist aber links wie rechts umstritten.