Antisemitismus: Am Schluss gehts immer um den Nahostkonflikt
Wieso gut gemeinte Kapitalismuskritik manchmal das Gegenteil von gut ist: Eine Tagung in Frankfurt stellte den Antisemitismus in der deutschen Linken zur Debatte.
«Linker Antisemitismus ist unmöglich.» Das Diktum des Schriftstellers Gerhard Zwerenz von 1976 steht wie der berühmte Elefant im Raum bei der Tagung «Das Gegenteil von gut gemeint – Antisemitismus in der deutschen Linken seit 1968» im Historischen Museum am Frankfurter Römer.
Gegenüber in der Paulskirche nahm vor fünf Jahren Judith Butler den Adorno-Preis in Empfang, begleitet von Protesten der Jüdischen Gemeinde, die der Preisträgerin «Israelhass» vorwarfen, zudem habe sie Hamas und Hisbollah als legitime soziale Bewegungen bezeichnet. Eine U-Bahn-Station weiter steht das Schauspielhaus, wo 1985 Rainer Werner Fassbinders Theaterstück «Der Müll, die Stadt und der Tod» aufgeführt werden sollte, was Mitglieder der Jüdischen Gemeinde durch eine Bühnenbesetzung verhinderten, unterstützt von etwa tausend DemonstrantInnen. Der Vorwurf: «subventionierter Antisemitismus». Fassbinders Stück basiert auf einem Roman von Gerhard Zwerenz, eine Hauptfigur des Stücks ist ein Spekulant, der als «der reiche Jude» bezeichnet wird und gewisse Ähnlichkeit mit dem Immobilienkaufmann Ignatz Bubis hat. Bubis war später Vorsitzender des Zentralrats der Juden. Als nach seinem Tod eine Mainbrücke nach ihm benannt werden sollte, gab es heftige Proteste von Frankfurter BürgerInnen.
Bei so viel Konfliktstoff auf engstem Raum entlarvt sich Zwerenz’ Parole von der Unmöglichkeit eines linken Antisemitismus als das, was sie ist: eine komfortable Selbstexkulpation. Die Markierung des «reichen Juden» im Namen eines linken Antikapitalismus ist gut gemeint, aber, da sind wir beim Titel der Konferenz: das Gegenteil von gut. Das Stereotyp vom «reichen Juden» gehört zur Folklore einer verkürzten und personalisierenden Kapitalismuskritik, die «immer latent antisemitische Denkformen in sich trägt», so die VeranstalterInnen von der Bildungsstätte Anne Frank. Wo der «reiche Jude» auftaucht, sind die Narrativbausteine «Heuschrecke», «Geldsystem» und «Zinskritik» nicht weit.
Auf den Kopf gestellt
Die Keynote der Konferenz hält Volker Beck, ehemals Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag. In rechten wie in antiimperialistischen Kreisen wird der Grünen-Politiker gerne als «Israel-Lobbyist» diffamiert. «Liebe Genossinnen und Genossen», hebt Beck an, grinsend ob des kuriosen Settings, dass er als Mitglied einer schon lange nicht mehr linken Partei mit mehrheitlich linken Anti-AntisemitInnen über linken Antisemitismus reden soll. Dann stellt Beck, wie viele Redner nach ihm, Zwerenz auf den Kopf: Nicht linken Antisemitismus kann es nicht geben, sondern ein Antisemit kann kein Linker sein.
Spätestens hier stellt sich die Frage: Wovon reden wir, wenn wir sagen: die Linke? Haben wir es nicht mit mindestens zwei Linken zu tun, die sich antagonistisch gegenüberstehen? Hier eine antiimperialistisch geprägte, antiamerikanische, national orientierte, propalästinensische, also im eigenen Jargon «israelkritische» Linke. Dort eine anti-antiimperialistische, dezidiert anti-antisemitische, mit Israel solidarische, internationalistisch-universalistisch orientierte Linke. Zugespitzt könnten wir von einer vormodernen und einer modernen Linken sprechen, in der deutschen Linkspartei repräsentiert vom nationalreaktionären Flügel um Sahra Wagenknecht und der progressiven Strömung um die Vorsitzende Katja Kipping.
Die endgültige Spaltung in diese antagonistischen Fraktionen erfolgt 1997, wie die Journalistin Elke Wittich an der Tagung erzählt. Sie war dabei, als es bei der Zeitung «Junge Welt» zum Bruch kam, nachdem die Old School in einem Streikkonflikt «den deutschen Arbeiter» gegen «illegale Ausländer» verteidigte. Daraufhin verliess die New School die «Junge Welt», um die «Jungle World» zu gründen. Heute stehen die beiden Zeitungen für das Dilemma der doppelten Linken, das immer besonders dramatisch wird, wenn es um Juden und Jüdinnen geht. Und, geradezu zwanghaft, um Israel.
Früher oder später landen wir immer beim Nahostkonflikt, so ein Mantra beim Frankfurter Kongress. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank und im Kibbuz aufgewachsen, datiert die Geburtsstunde des linken Antisemitismus auf das Jahr 1967. Im Sechstagekrieg positionieren sich die deutschen Leitmedien pro Israel, die «Bild»-Zeitung feiert den Sieg als «Blitzkrieg». Für viele Linke ist die «Bild» der Feind, folglich gilt Israel fortan als Aggressor, als imperialistische Macht – oder als «Apartheidsstaat», so der frühere deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel (SPD). Heute camoufliert sich Antisemitismus gern als «Israelkritik», kein anderes Land wird so obsessiv kritisiert oder gleich in seiner Existenz infrage gestellt.
Tiefe Wurzeln
Mit Blick auf die britische Linke sprach die Wiener Autorin Karin Stögner von sekundärem Antisemitismus: Die Kolonialschuld werde auf Israel projiziert, um die eigene Nation reinzuwaschen, die Palästina bis 1948 besetzt hielt. Zudem warnte sie davor, Judenhass und Judenfeindschaft mit all ihren spezifischen Facetten als bloss eine von vielen Varianten des Rassismus zu verniedlichen.
Antisemitismus, das hat die Frankfurter Konferenz gezeigt, wurzelt tief und hat viele Gesichter. Und noch haben nicht alle Linken kapiert, dass AntisemitInnen keine Linken sein können.