Durch den Monat mit Roman Signer (Teil 4): Welcher Film hat Sie beeindruckt?

Nr. 26 –

Eine Inspirationsquelle von Roman Signer ist neben der Natur das Kino. Schon als Kind lauschte er den Filmen beim Notausgang.

Roman Signer: «Ich kann mich noch erinnern, wie ich nach draussen kam und weinte, so berührt hat mich der Film.»

WOZ: Roman Signer, hatten Sie Vorbilder, als Sie mit Ihrer künstlerischen Arbeit begannen?
Roman Signer: Man fragt mich das immer wieder, aber einzelne Künstler als Vorbilder hatte ich nie. Ich wusste natürlich, wer Andy Warhol, wer Bruce Nauman ist, auch die ganzen Land Artists habe ich gekannt. Aber mich haben immer stärker die aktuellen künstlerischen Strömungen, der Zeitgeist interessiert. Da spielten natürlich auch das Kino, die Musik, das Lesen eine wichtige Rolle.

Was waren Ihre ersten Kinoerlebnisse?
Die ersten Filme waren Missionsfilme in der Schule, ein Herr Pfarrer kam und hat den Film kommentiert, manchmal ziemlich rassistisch: «Das ist jetzt halt so ein schwarzer Boy, der arbeitet nicht viel.» Später wurde in der Nähe unseres Hauses das Kino Hecht gebaut, an der Stelle eines Pferdestalls. Ich weiss noch gut, wie ich von der Schule kam und die Bauarbeiter fragte, warum sie denn einen schrägen Boden einzögen. Sie haben mir erklärt, das gebe ein Kino. Ich war fasziniert, ein Kino in Appenzell!

Dort waren Sie dann vermutlich häufig zu Besuch.
Ich habe es mir selten leisten können, aber hinten hatte das Kino eine Tür, einen Notausgang. Da bin ich oft mit den Finken hinübergeschlichen, zum Zuhören. Ich habe mir überlegt, über was die Schauspieler reden, worüber das Publikum lacht. Geschossen wurde natürlich auch. 1953 kam dann das Fernsehen auf, das Kino Hecht wurde geschlossen. Bei der ersten Fernsehübertragung in Appenzell war ich mit dabei. Ich kannte einen Fernsehtechniker, der in seinem Estrich eine riesige Antenne aufgestellt hatte. Wir haben die Krönung von Queen Elizabeth empfangen. Als ich in der Nacht spät nach Hause kam, wollte mein Bruder wissen, wo ich denn so lange gewesen sei. Ich sagte ihm, dass ich fernsehen war. Er wollte wissen, was das sei. Ich erklärte ihm, es habe eine grosse Zukunft. Leider habe ich recht behalten.

Sie selbst sind aber dem Kino treu geblieben?
Ja, auch während des Studiums in Polen ging ich oft ins Kino. In der sozialistischen Zeit kaufte Polen nur gute Filme ein, sie mussten sich nicht rentieren. Selbst in Stepnica, einem kleinen Kaff, wo ich meine Frau in einem Bildhauerkurs kennenlernte, gab es ein Kino. Es war ganz primitiv. Jedes Mal, wenn ein Bauer mit seinem Traktor vorbeifuhr, hat die Leinwand gezittert. Doch wir haben hervorragende Filme gesehen, zum Beispiel «Die Frau in den Dünen» des Japaners Hiroshi Teshigahara.

Und welcher Film hat Sie am meisten beeindruckt?
Schon früh in Appenzell habe ich «La strada» von Federico Fellini gesehen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich nach draussen kam und weinte, so berührt hat mich der Film. Für meine Arbeit am wichtigsten war aber sicher «Zabriskie Point» von Michelangelo Antonioni, in dem am Schluss eine Villa explodiert. Es ist die schönste Sprengung in der Kinogeschichte. Es gibt keinen Rauch bei der Explosion. Ich habe mich lange gefragt, wie die das technisch gemacht haben. Ich dachte erst, sie hätten einen Spezialsprengstoff verwendet. Aber es ist eine Frage der Perspektive, sie haben aufwärts gefilmt. Es geht eine halbe Sekunde, bis der Rauch kommt. Diesen kurzen Moment haben sie mit einer Zeitlupe gedehnt. Wenn du nach oben filmst und es jagt die Gegenstände in die Luft wie den Kühlschrank oder die Kleider, dann entstehen diese tänzerischen, schwerelosen Bewegungen. Fantastisch.

Ihre eigenen Aktionen haben Sie dann auch mit kurzen Filmen dokumentiert.
1975 beschloss ich, selbst Filme zu machen. Ich habe mit Super 8 begonnen, kaufte eine Kamera und einen Projektor. Zum Glück hatte ich den Mut. Du beobachtest anders, wenn du Filme machst. Schon bei 25 Bildern pro Sekunde siehst du einiges mehr. Ich schaute die Filme an und machte die Dinge neu. Für mich gingen Türen auf. Ich wollte nie ein Künstler sein, der im Atelier sitzt. Mit der Kamera konnte ich in die Natur hinaus und meine Arbeit dokumentieren.

Was unterscheidet Super 8 von den heutigen digitalen Aufnahmen?
Viele Filmschaffende sagen, sie hätten mit Super 8 zu filmen gelernt. Du hast pro Film nur drei Minuten Zeit. Da musst du schon ein bisschen ein Konzept haben, wenn du zu filmen beginnst. Danach musste man die Filme nach Lausanne einschicken und drei Wochen warten, es war jedes Mal eine Überraschung, wenn das Päckchen zurückkam. Heute ist es mir etwas unheimlich, dass alle ständig mit dem Smartphone filmen. Die Aufnahmen schauen sie aber vielleicht gar nie mehr an. Es gibt aber auch Künstler, die wieder begonnen haben, mit Super 8 zu arbeiten.

Wie ist überhaupt Ihre Wirkung auf jüngere Künstler, haben Sie Nachahmer?
Das weiss ich nicht. Ich habe aber den Eindruck, im Ausland seien die Leute etwas neugieriger. Ich habe schon an der Akademie in Peking einen Vortrag gehalten, da waren die chinesischen Künstler sehr interessiert. Nach dem Vortrag kam ein Professor und fragte mich, ob ich bleiben könne, er brauche genau so einen wie mich. Doch ich kann ja kein Chinesisch.

Einige Kurzfilme von Roman Signer (80) sind noch bis am 12. August im Kunstmuseum St. Gallen zu sehen. Besonders empfohlen: «Ballon mit Hocker».