Durch den Monat mit Roman Signer (Teil 1): Haben Sie am Geburtstag eine Rakete abgefeuert?

Nr. 23 –

Roman Signer verrät, wie er seinen 80. Geburtstag feierte. Und erinnert sich, wie er durch die Erfahrung einer schweren Krankheit zum Künstler wurde.

Roman Signer: «Mit achtzig kann ich nicht mehr alle Kerzen ausblasen. Ich habe deshalb eine Drohne darüber gesteuert.»

WOZ: Roman Signer, Sie konnten kürzlich Ihren 80.  Geburtstag feiern. Wie muss man sich einen runden Geburtstag bei Ihnen vorstellen: Haben Sie eine Rakete abgefeuert, wie Sie es manchmal in Ihren Werken tun?
Roman Signer: Erst wollten wir in unserem Haus in St. Gallen nur eine kleine Einladung machen, mit zwanzig Leuten. Dann haben wir begonnen einzuladen, am Schluss waren es 120 Leute. So wurde es doch ein grosses Fest. Wir haben einen Saal gemietet in einem Hotel, es gab ein gutes Essen und Musik, Appenzeller Balkanmusik. Ich habe eine Einlage gemacht, indem ich auf einem Tisch achtzig Kerzen aufstellte. Mit achtzig kann ich nicht mehr alle ausblasen. Ich habe deshalb eine Drohne darüber gesteuert. Wir löschten das Licht im Saal, nur noch die Kerzen leuchteten. Mit dem Wind der Rotoren konnte ich alle ausblasen.

Sie sind immer noch als Künstler tätig, derzeit ist im Kunstmuseum St. Gallen eine Einzelausstellung von Ihnen zu sehen. Woher nehmen Sie die Kraft?
Ich habe immer noch Freude an der Kunst, sie bleibt für mich ein Abenteuer. Ich habe viel Abwechslung, kann in der Natur einen Versuch machen oder im Atelier arbeiten. Ich hoffe, dass ich noch ein paar Jahre gesund bin. Wenn ich krank werde, höre ich auf. Ich hatte schon zwei, drei gesundheitliche Krisen. Dann hast du überhaupt keine Lust mehr, Kunst zu machen. Dann interessiert dich nur, dass du wieder gesund wirst.

Ich nehme an, dass Sie mit achtzig gelassen auf Ihr Werk zurückblicken. Wie erleben Sie dieses Alter?
Es ist immer ein blöder Vergleich, wenn man sagt, im Alter werde man ruhiger. Die Zeit vergeht im Gegenteil unheimlich schnell. Wenn du einmal fünfzig warst, geht es rasend schnell abwärts. Abwärts geht es immer schneller, wie auf Skis. Ich stelle mir das Leben wie einen Fluss vor, der immer steiler wird. Und am Schluss folgt ein Wasserfall ins Meer, da ist das Leben dann fertig. Immer mehr Gefälle, immer schneller, am Schluss ein Sprung ins Meer, das ist der Tod. Dann bist du wieder vereint mit dem grossen Weltmeer.

Sie wurden erst spät Künstler, mit 34 Jahren. Bereuen Sie manchmal, dass Sie nicht schon früher begonnen haben?
Ich war ein Spätzünder, ich war gar nie ein junger Künstler (lacht). Ich machte eine Lehre als Hochbauzeichner, dann zog ich von Appenzell in die Welt hinaus, arbeitete erst im Engadin, in Zürich, dann in Genf, um Französisch zu lernen. In der «Weltwoche», die man damals noch lesen konnte, entdeckte ich den Architekten Jacques Couëlle. Er erstellte in den Alpes-Maritimes hinter Cannes verrückte Höhlenbauten. Mit einem Freund fuhr ich auf der Vespa nach Castellaras zu seinem Atelier und stellte mich vor. Couëlle war sehr nett und stellte mich ein. Doch ich konnte nicht gleich beginnen.

Warum nicht?
Ich musste noch ins Militär, wo ich mir eine Bronchitis einfing. Der Arzt meinte, das Klima in den Alpes-Maritimes würde mir zur Erholung bestimmt guttun. Als ich endlich in Castellaras eintraf, herrschte eine Saukälte. Eine Bauersfrau, Madame Alberti, gab mir ein Zimmer. Eine Fensterscheibe fehlte, der Boden war geplättelt, es war sehr ungemütlich. Ich kam noch auf die Idee, einen Spaziergang zu machen, musste aber umkehren. In der Nacht hatte ich meinen ersten Asthmaanfall. Es war sehr schlimm, ich konnte kaum mehr atmen, niemanden rufen. Als mich Madame Alberti am Morgen fand, war ich ganz blau. «Roman, il est mort!», rief sie. «Il est mort, le pauvre!»

Die Bauersfrau hat sie aber gerettet.
Sie rief die Ambulanz, die mit einem Citroën DS kam. Damals hatten sie noch kein Blaulicht, sondern hielten eine Fahne aus dem Fenster. Ich sass hinten, die Rotkreuzfahne flatterte im Fahrtwind.

Die Beschreibung klingt ein bisschen wie eine Ihrer späteren Kunstaktionen.
Das stimmt. Frau Alberti hatte mir noch einen roten Morgenrock gegeben, ich sah aus wie Herodes. So kam ich ins Spital, in einen Saal mit uralten Männern. Ich dachte, ich werde sterben, wenn ich hierbleibe. Die Ärzte schickten mich dann zum Glück mit einem Flugzeug nach Hause. Ich war ein halbes Jahr arbeitsunfähig, bin schaurig abgemagert. Manchmal wurde ich einfach bewusstlos vor Schwäche. Da habe ich gemerkt: Ich muss etwas ändern.

Sie sind also durch die Erfahrung der Krankheit zum Künstler geworden?
Sie war für mich eine Krise, in der ich zu zeichnen begann. Ich hatte mich schon früher für die Kunst interessiert, wäre auch gerne Architekt geworden. Doch ich hielt mich für zu wenig intelligent oder gebildet. Nun aber stand ich an einer Lebenswende. Ich wusste, dass ich nicht mehr in den Beruf zurückkonnte, nur noch im Notfall als Hochbauzeichner arbeiten wollte. Als ich mich erholt hatte, meldete ich mich bei der Kunstgewerbeschule in Zürich an und wurde aufgenommen.

Roman Signer (80) zeigt bis zum 12. August im Kunstmuseum St. Gallen die Ausstellung «Spuren». Dem Künstler ist wichtig, dass es keine Geburtstagsausstellung ist.