Oleh Senzow: Proteste, Schweigen, Warten
«Oleh Senzow kann jeden Moment sterben.» So beginnt ein Appell, der am Dienstag in «Le Monde» erschienen ist – unterschrieben von mehr als hundert Kulturschaffenden. Die prominenten UnterstützerInnen – darunter Frankreichs Kulturministerin Françoise Nyssen, Schriftstellerin Annie Ernaux oder Regielegende Jean-Luc Godard – fordern die sofortige Freilassung des ukrainischen Regisseurs Oleh Senzow, der sich seit mehr als hundert Tagen im Hungerstreik befindet. Der dringliche Aufruf ist nur eine von vielen Aktionen, die Solidarität mit dem Inhaftierten ausdrücken. In Tschechien traten diese Woche mehrere Filmemacher selbst in den Hungerstreik, der Schriftstellerverband PEN schickte kürzlich einen offenen Brief an den russischen Präsidenten. Und auch in Russland selbst gingen Senzows KollegInnen auf die Strasse. Geholfen hat die ganze Unterstützung bisher wenig.
Senzow, der von der annektierten Krim-Halbinsel stammt und den ein russisches Gericht 2015 in einem abstrusen Schauprozess wegen «Terrorismus» verurteilte, verbüsst in einer sibirischen Strafkolonie am nördlichen Polarkreis eine zwanzigjährige Haftstrafe. Um die Freilassung ukrainischer politischer Gefangener zu erzwingen, hörte der 42-Jährige im Mai auf, Nahrung zu sich zu nehmen. Inzwischen erhält Senzow, der beinahe vierzig Kilogramm abgenommen hat, Vitamine per Infusion. Laut seinem Anwalt und den Angehörigen ist sein Zustand «beinahe kritisch».
So gross die internationale Solidarität auch ist, so laut wird in Europas Hauptstädten geschwiegen. Am Wochenende war Putin bei der deutschen Kanzlerin zu Gast. Gesprochen wurde über den Wiederaufbau in Syrien, bilaterale Handelsbeziehungen und Gaslieferungen. Auf beiden Seiten schien das Interesse gross, gemeinsame Positionen zu finden. Dass auch der Name Senzow fiel, darf allerdings bezweifelt werden.
Die einzige Person, die Oleh Senzow retten kann, ist sowieso Wladimir Putin. Solange sich in Moskau nichts bewegt, bleibt wenig mehr als hilfloses Warten. Bisher sieht es so aus, als würde Putin die Appelle ungehört verhallen lassen, den Tod des Inhaftierten in Kauf nehmen. Ein verzweifeltes Gnadengesuch von Senzows Mutter lehnte ein russisches Gericht zuletzt ab – mit der zynischen Begründung, der Regisseur selbst müsse um Gnade bitten.