Durch den Monat mit Jürg Halter (Teil 3): Sind Sie humorvoll?

Nr. 38 –

Jürg Halter ärgert sich über den durchökonomisierten Literaturbetrieb und wundert sich, dass er immer wieder als Einzelgänger dargestellt wird.

«Ob ich humorvoll bin oder nicht, darüber sollen andere urteilen. Jedenfalls ist die Selbstironie eine gute Bekannte von mir.»

WOZ: Jürg Halter, in Ihrem Debütroman «Erwachen im 21. Jahrhundert» parodieren Sie unter anderem den Literaturbetrieb in Form zugespitzter Autorenporträts. Sind das echte Autoren?
Jürg Halter: «Und der Dichter antwortete mit einem vielstimmigen Schweigen.» Nein, im Ernst: Natürlich wurde ich von real existierenden Autoren inspiriert. Das Beispiel des «Grossschriftstellers», der an einem Gewässer entlanggeht und grosse Worte braucht und dann in einem Turm aus Stahlbeton verschwindet – das kann man als Anspielung auf einen Uwe Tellkamp lesen, aber nicht nur. Es ging mir ja nicht um eine Abrechnung mit Einzelpersonen, sondern vielmehr darum, die Eitelkeiten und Selbstgefälligkeiten des Literaturbetriebs vorzuführen; die Art, wie Medien auf Literaten reagieren und wie sie diese darstellen.

Aber schon auch eine Kritik am Literaturbetrieb an sich?
Man kann nur Dinge überzeichnen, die man durchschaut hat. Ich habe schon immer mein Umfeld reflektiert, egal wo ich war. Als Kutti MC habe ich unter anderem Songs gemacht, die Hip-Hop-Klischees und Rapper vorführten, die Diskrepanz zwischen ihrer Inszenierung und der Realität; Schweizer Rapper aus der Wohlstandsagglomeration, die von Strasse und Dealen erzählen, während sie bei der Swisscom ihre Lehre machen.

Sorgte das auch für Ärger?
Humorlose Menschen hatten mich noch nie gern. Aber in der Musikszene gab es auch viele, die froh waren, dass jemand Bullshit als Bullshit benennt.

Heisst das, Sie sind humorvoll? Ist das nicht eine etwas eitle Einschätzung?
Ob ich humorvoll bin oder nicht, darüber sollen andere urteilen. Jedenfalls ist die Selbstironie eine gute Bekannte von mir. Viele Menschen verlieren den Humor doch erst, wenn es um sie selbst geht. Über andere zu lachen, fällt leichter.

Sie gelten aber auch als unzugänglicher Einzelgänger.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Die Liste an Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, ist lang, von Endo Anaconda über Ester Vonplon und Stephan Eicher bis Tanikawa Shuntaro. Ich glaube, das Problem ist eher, dass man in der Schweiz in eine Schublade passen muss, kein Möbel sein darf. Vielleicht bin ich aber einfach schlecht integriert.

Sie haben doch keinen Migrationshintergrund?
Integration ist ein weites Feld. Die meisten Menschen benutzen den Begriff ja als Synonym von Anpassung – sei das an eine Nation, eine «Szene». Insofern bin ich «schlecht» integriert, eine Antiintegrationsfigur. Ich habe mich immer in verschiedenen Szenen zugleich bewegt, das schärft auch den Blick dafür, wie die einzelnen Szenen agieren. Und Patriot bin ich auch nicht. Ich will ein möglichst freier Künstler sein. Ich glaube, dass gerade die Kunst mehr geprägt wird durch Menschen, die anecken, als durch jene, die sich Konventionen unterwerfen.

Noch einmal nachgefragt: Sie sehen den Zustand des Literaturbetriebs als Ganzes eher kritisch?
Der Literaturbetrieb ist eindimensionaler geworden. Literaturkritik, die in die Tiefe geht, hats immer schwieriger. Der Fokus liegt stark auf den Autorinnen und Autoren. Man redet kaum mehr über die Sprache, obwohl diese Bücher unverwechselbar oder austauschbar macht – Handlungen und Themen kann man nicht neu erfinden. Wenn ich in einer Kritik lese: «Die Sprache ist musikalisch und rhythmisch», denke ich: Meine Güte, der Vortrag jedes Telefonbuchs ist «rhythmisch» und «musikalisch». Die Frage ist doch: Was zeichnet diesen Rhythmus aus? Was unterscheidet ihn von anderen Rhythmen?

Der Fehler liegt bei den Medien?
Nicht nur, nein. Die Literatur wurde durchökonomisiert wie jeder andere Lebensbereich. Amazon zerstört die bisherige Buchkultur. Unabhängige Verlage müssen schliessen oder werden von Grosskonzernen aufgekauft. Genresprengende Bücher sind unerwünscht. Grosse Verlage legen für jedes Buch ein eindeutiges Genre und ein Promotionsbudget fest und kaufen vorgeschriebene Platzierungen innerhalb von Grossbuchhandlungen. Autorinnen und Autoren werden als Produkte verkauft, die immer nur das Gleiche ausspucken sollen. Und Verlegerfiguren wie Egon Ammann sterben leider aus – ein besessener Literaturfanatiker, der Bücher machte, weil er sie liebte, nicht weil sie sich rechneten.

Und was bleibt dabei auf der Strecke?
Für junge Autorinnen und Autoren gibt es heute ein Standardprogramm: Sie müssen ein Literaturinstitut besuchen. Sie müssen von Anfang an wissen, wie sie sich subventionieren können und wie man sich selbst vermarktet. Junge Autorinnen und Autoren sollen nicht mehr scheitern, sollen nicht mehr zu ihrer Sprache finden. Sie sollen schon da sein. Kurze, einfache Sätze sind gefragt. Doch schlussendlich gefährdet diese Vervielfältigung von Einfalt die Freiheit der Kunst.

Neben dem Bett des Autors Jürg Halter (38) liegen «keine Handschellen, dafür Bücher, die mich fesseln». Dies verriet er kürzlich der «Schweizer Illustrierten».