Durch den Monat mit Jürg Halter (Teil 1): Was haben Sie für ein Problem mit der SP?

Nr. 36 –

Als Jugendlicher wollte Jürg Halter die Welt verändern. Doch die «Parteizentrale» im Hobbykeller eines Freundes schien der falsche Ort. Heute äussert er sich als Künstler immer wieder politisch – und trinkt manchmal Kaffee mit Andreas Thiel.

Jürg Halter: «Für mich gehört Religionskritik zur DNA des linken Denkens.»

WOZ: Jürg Halter, sind Sie ein politischer Schriftsteller?
Jürg Halter: Ich hoffe es. Seit ich Zeitung lesen kann, interessiert mich Politik. Ich habe in Bremgarten bei Bern ein Jugendparlament mitgegründet. Wir hatten Künstlernamen, ich war «Santiago». Und wir verstanden uns als Kraft, die dem Kommunismus ein neues Gesicht geben sollte.

Ein ziemlich hoher Anspruch …
… insbesondere für ein paar Sechzehnjährige, die keine Ahnung von der dunklen Seite des Kommunismus hatten. Mit einer «Parteizentrale» im Hobbykeller des Vaters unseres Parteikassiers.

Klingt ein bisschen nach Kunstprojekt.
Man nahm uns mit der Zeit durchaus ernst. Irgendwann hatten wir Altbundesrat Arnold Koller als Teilnehmer an einer Podiumsdiskussion. Und für ein Jugendkulturzentrum brachten wir mehrere Zehntausend Franken zusammen, die wir dem Gemeinderat überbrachten. Der verlauerte dann das Projekt.

Haben Sie deshalb wieder aufgehört?
Auch. Aber vor allem merkte ich, dass die Mitglieder der Jungparteien in Gestik und Vokabular kaum von ihren Vorbildern zu unterscheiden waren. Die wollten pragmatisch über Motionen und Postulate reden – ich wollte die Welt verändern. Da wurde mir klar, dass das nicht meine Form ist, um mich einzubringen.

Sind Sie seither politischer geworden?
Die Zusammenhänge sind mir heute klarer. Etwa wie krass die Vernetzung von Politik und Wirtschaft ist. Aktuell etwa das Gesetz zur Überwachung von Versicherten. Ein Gesetz, das nur die Interessen der Versicherungen durchsetzt, gemacht von Parlamentariern, die «zufällig» in Verwaltungsräten sitzen. Das ist kein Lobbying mehr, das ist demokratiezersetzend.

Sie haben sich auch gegen die Lockerung des Exportverbots für Waffen geäussert …
Ich habe CVP-Präsident Gerhard Pfister auf Twitter gefragt, wie er das mit seinen christlichen Werten vereinbare, Waffen in Bürgerkriegsländer zu exportieren und sich gleichzeitig über zu viele Flüchtlinge zu beschweren. Erstaunlicherweise hat er geantwortet. Er hat sich gewunden und geschrieben, dass man das C nicht politisieren solle. Absurd!

Die CVP ist wohl nicht Ihre Lieblingspartei?
Die anderen sind nicht besser. Die FDP predigt Liberalismus und wehrt sich gegen das kleinste bisschen Transparenz. Über die SVP brauchen wir nicht zu reden. Mit der SP habe ich aber manchmal auch Mühe – sie predigt Toleranz, verteidigt aber erzkonservative Kräfte …

Sie sprechen von den Muslimen? Ein Thema, zu dem Sie sich gerne äussern.
Vielleicht ist das der Kern des Problems. Wer soll das sein, die Muslime? Der grösste Teil der Musliminnen und Muslime ist so säkular wie der Rest unserer Bevölkerung. Jene, die sich zu Verbänden zusammenschliessen, sind aber meist erzkonservativ bis klar demokratiefeindlich und somit kaum repräsentativ für die Mehrheit, siehe Islamischer Zentralrat.

Wäre ein «Schweizer Islam», wie ihn die SP vorschlägt, eine Alternative?
Wieso sollten die Muslime ein Interesse daran haben, dass die SP ihnen die eigene Religion erklärt? Die SP soll einfach konsequent für die Säkularisierung einstehen. Für mich gehört Religionskritik zur DNA des linken Denkens. Mich beschäftigt es, was in diesem Kontext teilweise der Sprache angetan wird. Ich finde etwa den Begriff «Toleranz» ganz instinktiv furchtbar. Kein Mensch will «toleriert» werden. Wir wollen respektiert werden. Und Respekt funktioniert nur, wenn er gegenseitig ist – im Unterschied zur Toleranz.

Ein alter Weggefährte von Ihnen, Andreas Thiel, hat seine künstlerische Karriere quasi beerdigt mit seinem Kampf gegen den Islam …
Ich kannte Thiel schon lange vor seinem Koranbashing. Mit ihm und Pedro Lenz zusammen hatte ich einst ein literarisches Labor gegründet. Seine Islamkritik halte ich aber für zu undifferenziert und einseitig.

Thiel sagt, dass er praktisch keine Auftritte mehr bekomme. Diverse Veranstalter erklären, das habe mit hohen Gagenforderungen zu tun.
Das weiss ich nicht. Jedenfalls wollte ihn das tendenziell linke Kabarettpublikum immer weniger sehen.

Das ist das gute Recht des Publikums.
Keine Frage. Dafür ist er selbst verantwortlich. Das Schlimme ist aber, wie mit ihm teils umgegangen wurde. Das hatte nichts mehr mit Kritik zu tun. Er erhielt Morddrohungen, seine schwangere Freundin wurde bedroht, er wird bis heute von Fremden auf der Strasse angespuckt. Das ist nur noch menschenfeindlich. Wir haben keinen aktiven Kontakt, aber wenn wir uns zufällig treffen, dann trinken wir einen Kaffee. Das letzte Mal kam jemand zu mir und fand: «Wie kannst du mit dem am gleichen Tisch sitzen?» Ich glaube, wenn man sich nicht mehr mit Leuten unterhält, mit denen man nicht einverstanden ist, dann kann man es mit der Demokratie gleich sein lassen.

Jürg Halter (38) ist Autor und Performancekünstler und lebt in Bern. Früher trat er auch als Kutti MC auf. Am 12. September tauft er im Zürcher Kaufleuten seinen ersten Roman, «Erwachen im 21. Jahrhundert».