Frauenaufstand in den USA: Meine Herren, die Zeit ist um!

Nr. 40 –

In Trumps «Great America» werden die Reichen immer reicher, die Fabriken und Autos immer schmutziger. Die Gefängnisse sind überfüllt, und die durchschnittliche Lebenserwartung sinkt. Der Service public wird ausgehungert, die Drogensucht ist epidemisch, die Kriegseinsätze in aller Welt nehmen weiter zu. Undokumentierte Kinder werden zu Tausenden in die Wüste geschickt, in Zeltlager ohne Schulen und ohne angemessene Rechtsvertretung für die jungen ImmigrantInnen. Ist es angesichts solch drängender Probleme wirklich nötig, dass sich die ganze Nation wochenlang mit den «Jugendsünden» eines gestandenen Mittfünfzigers beschäftigt und jahrzehntealte sexuelle Übergriffe erörtert, bei denen seine Aussage gegen jene der betroffenen Frauen steht?

Ja, eine breite öffentliche Debatte ist sogar bitter nötig. Denn Präsident Trump und die radikale Rechte testen im «Fall Kavanaugh» dreist, wie weit sie mit ihrer masslosen Machtgier gehen können, bis das politische System sie stoppt oder aber die Gegenseite entschieden Widerstand leistet. Die Besetzung einer Richterstelle beim politisch einflussreichen Obersten Gericht auf Lebenszeit ist keine Nebensache. Und das Trauma sexuell missbrauchter Frauen ist es erst recht nicht.

Wenn nun rechte Politiker aufgeregt von einem «Schauprozess» sprechen, stimmt das bloss im streng wörtlichen Sinn: Die ganztägige Anhörung vor dem US-Senat, bei der die Psychologin Christine Blasey Ford als Klägerin und der Supreme-Court-Kandidat Brett Kavanaugh als Beklagter vor einer Woche zu Wort kamen, brachte bekanntlich kein gültiges Urteil über das, was zwischen den beiden 1982 in einem Schlafzimmer geschah. Doch der Auftritt war trotzdem augenfällig. Auf der einen Seite wütete und schniefte und jammerte ein selbstgerechter und selbstmitleidiger Mann, der seine traditionellen Privilegien bedroht sieht und diese wie schon bei früheren Gelegenheiten mit allen Mitteln – auch mit der Verunglimpfung der Klägerinnen, mit nachweislichen Lügen oder wilden Verschwörungstheorien – verteidigt. Auf der anderen Seite sprach eine etwas verängstigte, aber gefasste und entschlossene Frau. Oft redete sie zu leise, zuweilen wirkte sie etwas gar artig, die Wissenschaftlerin schien aber stets um faktische Genauigkeit bemüht. Und draussen vor der Tür protestierten derweil lautstark feministische Aktivistinnen. Erst deren direkter Konfrontation mit dem karrieremüden republikanischen Abgeordneten Jeff Flake ist es zu verdanken, dass dieser einer parteiunabhängigen FBI-Untersuchung zustimmte und so der flotte Durchmarsch der rechten Machos vorerst scheiterte.

In einem zeitgenössischen Mysterienspiel trüge Brett Kavanaugh die Maske des polternden, unehrlichen, egomanen Trump-Blocks. Christine Blasey Ford wäre das Gesicht einer meist ehrlich bemühten, integrativen, jedoch allzu vorsichtigen demokratischen Partei. Und die Aktivistinnen vor der Tür und auf der Strasse schliesslich übernähmen die Rolle der aufmüpfigen Linken oder Progressiven.

Wie auch immer die Szene mit dem jähzornigen Richter endet: Das Lehrstück über die schwindende Macht der Machos und den Aufstand der Frauen hat erst richtig angefangen. Und die US-Zwischenwahlen im November mit einer Rekordzahl an fähigen politischen Kandidatinnen und hoch motivierten Wählerinnen versprechen einen spannenden zweiten Akt. Der kleine politische Unterschied zwischen den Geschlechtern ist in den USA seit Jahrzehnten ständig gewachsen, weil sich die Frauen mehrheitlich nach links bewegen. In diesem Herbst droht den RepublikanerInnen – nicht zuletzt aufgrund von Trumps eigenem Sexismus – gemäss Umfragen auch noch die Abwanderung der älteren bisher parteitreuen Wählerinnen.

Die 85-jährige Oberste Richterin Ruth Bader Ginsburg bekannte am Vorabend der historischen Anhörung von Christine Blasey Ford und Brett Kavanaugh, sie persönlich freue sich über die #MeToo-Bewegung. In ihrer Generation hätten die Frauen noch geglaubt, sie müssten die Männer halt so nehmen, wie sie sind. Diese Zeit sei zum Glück vorbei.