#MeToo in der US-Politik: Hans was Heiri?
Donald Trump wie seinem Herausforderer Joe Biden werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen, beide stehen für die Männerwelt von gestern. Damit hat es sich aber mit den Gemeinsamkeiten.
Um das Amt des US-Präsidenten buhlen mitten in der Coronakrise zwei Senioren, die die Welt nicht mehr verstehen. Schon gar nicht die #MeToo-Welt, die auch mächtige Männer zu Fall bringen kann.
Der republikanische Titelverteidiger ist als klassischer Macho überzeugt davon, dass er, der grosse Star, jeder Frau ungestraft zwischen die Beine greifen kann. Bei Klagedrohungen zahlte er Schweigegeld. Besonders hartnäckige Klägerinnen wimmelt er unverfroren als unglaubwürdig und obendrein hässlich («nicht mein Typ») ab. Der demokratische Herausforderer ist hingegen ein typischer Softie. Er setzt sich als Politiker für die Rechte der Frauen ein – solange es seine eigene Position nicht gefährdet.
Als die Juristin Anita Hill 1991 ihren Vorgesetzten, den späteren Oberrichter Clarence Thomas, der sexuellen Belästigung beschuldigte, versuchte Joe Biden als Vorsitzender des Justizausschusses, die Sache unter den Teppich zu kehren. Erst 2019, kurz vor Bekanntgabe seiner Präsidentschaftskandidatur, entschuldigte sich Biden bei Hill.
Abbitte leisten musste der enthusiastische Gschpürschmi-Politiker vor kurzem auch bei all denjenigen Frauen, denen er im Wahlkampf ungefragt die Schulter gedrückt, den Nacken massiert oder die Haare gestreichelt hatte. Solches Verhalten ist zwar unangebracht, aber nicht kriminell. Doch nun behauptet die ehemalige Mitarbeiterin Tara Reade, der damalige Senator Biden habe sie 1993 in einem schummrigen Korridor gegen die Wand gedrückt und ihr unter den Rock gegriffen.
Falsche Symmetrie
Ist in diesem Altherrenmilieu letztlich alles Hans was Heiri oder Joe was Donald? Präsident Trump selber sieht es so. Er verbrüdert sich spontan mit seinem politischen Rivalen, denn als mächtige Männer seien sie beide gleichermassen Opfer von haltlosen Verleumdungen seitens publizitätssüchtiger Frauen. «Geh raus und kämpfe!», rät er Joe Biden, der zurzeit in seiner Wahlkampfzentrale im Keller festsitzt. Am anderen Ende des politischen Spektrums haben auch etliche Feministinnen ihr Urteil zur Präsidentenwahl 2020 bereits gefällt: So oder so sitze in Zukunft ein «Grüsel» im Weissen Haus.
Diese Symmetrie ist falsch oder zumindest kurzgeschlossen. Zum einen repräsentieren Donald Trump und Joe Biden zwei unversöhnliche politische Lager. Ob Klima oder Wirtschaft, Migration oder Minderheiten, Bildung oder Gesundheitswesen – die republikanische und die demokratische Partei vertreten diametral entgegengesetzte Analysen, Visionen und politische Antworten. Selbst in der Coronakrise bleiben die USA so tief zerstritten, dass eine Verständigung über wissenschaftliche Fakten und Thesen kaum mehr möglich ist. Kommt dazu, dass der Rechtspopulist Trump seine Partei fest im Griff hat. Biden, der anpassungsfähige Pragmatist, ist eher eine Galionsfigur des demokratischen Schiffes, an dessen Steuer sich Persönlichkeiten von Mitte rechts bis entschieden links ablösen.
Auch was die Achtung von Frauen angeht, gibt es zwischen den beiden wichtige Unterschiede. Seit Donald Trumps Amtsantritt im Februar 2017 sind in den USA so prominente Täter wie der Filmproduzent Harvey Weinstein, der Schauspieler Bill Cosby oder Larry Nassar, Arzt des US-Turnnationalteams, zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Opfer sexueller Übergriffe werden zunehmend ernst genommen und die Taten strafrechtlich verfolgt. Dieser gesellschaftliche Paradigmenwechsel ist an Donald Trump ziemlich spurlos vorbeigegangen. Der amtierende US-Präsident lebt in der Welt von gestern, und seiner Basis gefällt das.
Joe Biden andererseits solidarisierte sich im Herbst 2018 mit der #MeToo-Bewegung. Damals stand Brett Kavanaugh, der rechtskonservative Anwärter auf eine Lebensstelle am Obersten Gericht, unter dem Verdacht, als besoffener Teenager eine gleichaltrige junge Frau sexuell bedrängt zu haben. Biden sagte, man müsse davon ausgehen, dass das Zeugnis der Klägerin im Wesentlichen wahr sei, auch wenn nicht alle Details stimmten. Diese Aussage kann er jetzt, wo er selber unter Anklage steht, nicht ungesagt machen.
Gedämpfte Begeisterung
Erst nach wochenlangem Zögern nahm Biden zu den Vorwürfen von Tara Reade überhaupt Stellung. Er gestand der Frau ein prinzipielles Recht auf Anhörung zu, bestritt den sexuellen Übergriff aber kategorisch und begrüsste eine Untersuchung des Vorfalls, ohne klarzustellen, wer wo und wie untersuchen würde – und ob das noch vor der Novemberwahl geschieht. Das ist bereits mehr als Donald Trump je tat, der vergleichbaren Klagen von fast zwei Dutzend Frauen mit kaltem Rufmord begegnete.
Aber es ist nicht gut genug. Nur schon der Schatten eines Joe-Biden-Sexskandals könnte die Begeisterung der demokratischen WählerInnen dämpfen. Auch ohne Tara Reade fragt frau sich: Wen vermag das patriarchalische Modell eines sichtlich müden 77-Jährigen mit einer möglicherweise jüngeren Frau als Vize überhaupt noch zu mobilisieren? Das Beste, was Biden für sich selber, für die Gleichberechtigung und die demokratische Partei tun könnte, ist baldmöglichst Platz zu machen für eine überzeugendere Alternative zu Donald Trump.