Jana Honegger: Mit einem Fuss im Labor, mit dem anderen im Alltag
Linguistin, Künstlerin, digitale Aufklärerin: Jana Honegger kämpft mit dem Chaos Computer Club für eine Digitalisierung unter demokratischen Vorzeichen. Ein Besuch in ihrer Werkstatt im Schaffhausischen.
Ob sie sich als Hackerin bezeichnen würde? «Nun, hacken bedeutet ja erst mal nur, sehr hartnäckig zu sein», sagt Jana Honegger. Ihre Augenbrauen erscheinen über dem markanten Brillenrahmen, sie blickt ihr Gegenüber fordernd an und lächelt. Ob Honegger eine Hackerin ist? Kein Zweifel.
Wir sitzen in der Küche über der Kunst- und Kulturwerkstatt «W3rkH0f» in Neunkirch im Schaffhauser Hinterland. Honegger hat die Werkstatt vor Jahren gekauft und renoviert, hier wirkt sie zusammen mit dem Programmierer und Komponisten Kent Clelland. Sie erzählt von quadrofonischen Installationen, an denen sie und Clelland unter dem Namen line_code tüfteln, von den Jahren als junge Mutter in Japan, wo es ihr den Ärmel ins damals neue Internet reinzog – und vom Chaos Computer Club (CCC), für den sie aktiv ist.
Zwei Welten in einer Person
Fast alles, was die 53-Jährige macht, dreht sich irgendwann um unseren Umgang mit Computertechnologie. Als Künstlerin lötet sie die Geräte, mit denen sie und Clelland Töne und Bilder zu vibrierenden Collagen verschmelzen lassen; als Projektmanagerin plant sie Zusammenkünfte für HackerInnen und Webauftritte für NGOs und Unternehmen, sie gibt Workshops zu Datensicherheit. Seit kurzem ist sie im Presseteam des CCC Schweiz. Honegger vermittelt zwischen Programmier- und Umgangssprache, sie steht mit einem Fuss im Labor, mit dem anderen im Alltag. Das Übersetzen hat die Linguistin verinnerlicht, vielleicht lässt sich sogar ihre Erscheinung in diese Richtung deuten. Das rote Haar trägt sie rechts kurz geschoren, links schulterlang – zwei Welten in einer Person. Ihre Vision jedoch ist klar: digitale Aufklärung. Die Leute müssten ein Verständnis für die Mechanismen hinter den Programmen und Geräten entwickeln, die sie täglich nutzen. Nur so könnten wir verhindern, dass grosse Wirtschaftsakteure über unsere Köpfe hinweg entscheiden, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft bewegt. Gerade den CCC sieht sie als wichtige Instanz. Er helfe, die oft diffuse Angst gegenüber der Technik abzubauen. Zudem: «Beim CCC musst du nicht Mitglied sein. Du kannst einfach mal hingehen. Wichtig ist, dass man etwas macht.»
Anders gesagt: Tu was, «Tuwat». So fordert es ein Inserat, das 1981 in der «taz» erscheint. Ein gewisser Herwart Holland-Moritz ruft zu einem Treffen von «Komputerfrieks» auf. «Damit wir nicht länger unkoordiniert vor uns hinwuseln», wie er schreibt. Zwei Wochen später wird in den damaligen Berliner Redaktionsräumen der «taz» der Chaos Computer Club gegründet. Nicht zuletzt als Reaktion auf eine Linke, die in der aufkommenden Computertechnologie ein Instrument sah, das die Menschen knechtet. Mit dem CCC wollte Holland-Moritz dieser dystopischen Perspektive eine Utopie entgegensetzen.
Bis heute kämpft der CCC vehement für das Recht auf freie Kommunikation und eine Digitalisierung unter demokratischen Vorzeichen. In seiner knapp vierzigjährigen Geschichte ist er zur grössten HackerInnenvereinigung Europas herangewachsen, mehr als 9000 Mitglieder zählt er nach eigenen Angaben. In Deutschland reicht sein Einfluss bis weit in die politische Sphäre. Es waren ExpertInnen des CCC, die im Jahr 2006 Schwachstellen in einem Wahlcomputer erkannten und verhinderten, dass dieser flächendeckend eingesetzt wurde. Auch in der Schweiz greift der CCC in die politische Debatte ein. Derzeit bereitet er eine Initiative für das vorläufige Verbot von E-Voting vor. Die lokalen Ableger arbeiten grösstenteils autonom. Umso wichtiger ist der jährliche Chaos Communication Congress, bei dem mittlerweile rund 15 000 BesucherInnen zusammenkommen.
Dort beginnt vor fünf Jahren auch Honeggers eigene Geschichte mit dem Chaos Computer Club. Über ein neues PatInnensystem kommt sie an eines der begehrten Tickets. Wenig später findet sie sich an der Seite von CCC-Pressesprecher Dirk Engling wieder, bekannt unter dem Namen Erdgeist. Er und andere Alteingesessene helfen den Neuankömmlingen, sich auf dem Kongress zurechtzufinden. Der ständige Zuwachs habe eine grosse Kontroverse ausgelöst, erzählte er ihr. Ein paar Eingefleischte forderten gar die Abspaltung, sahen den CCC unterwandert von Hipstern mit Macbooks, von MöchtegernhackerInnen. Zudem würde immer mehr Identitätspolitik betrieben, anstatt sich auf die Computertechnik zu fokussieren.
Gemeint ist auch das PatInnensystem, mit dem vor allem weibliche Neuankömmlinge ermutigt werden sollen, am Kongress teilzunehmen. «Orchideen» werden jene genannt, die neu dazustossen. Jana Honegger bezeichnet sich gerne als Orchidee. Die Überheblichkeit, mit der einige Mitglieder dem Zuwachs – gerade dem weiblichen – begegneten, entspreche überhaupt nicht dem HackerInnenethos. Der Grundgedanke des CCC sei ja gerade, dass Personen nicht nach ihren Äusserlichkeiten beurteilt würden. PressesprecherInnen etwa sind nicht gewählt, in ihre Position gelangen sie durch ihr Engagement und ihre Hartnäckigkeit.
Anleitungen zur Entgiftung
Das war auch der Grund, warum Jana Honegger irgendwann ins Presseteam rutschte. Wenn sie etwas herausfinden will, hakt sie nach. Oder besser: Sie hackt. «Ich bin jemand, der rumstochert.» So kam sie überhaupt zur Technik, damals vor knapp zwanzig Jahren in Japan, wo sie als junge Mutter in ein Austauschprogramm involviert war. Das sich eben bildende weltweite Netz versprach Anschluss: «Ich hatte das simple Bedürfnis, mit der Aussenwelt zu kommunizieren. Wenn das Baby schlief, ging ich ins Internet.» Sie bastelte sich ihre erste eigene Website – und war angefixt.
Zurück in der Schweiz, arbeitete sie bei einer Kommunikationsagentur und merkte bald, dass hier zwar Oberflächen gestaltet wurden, aber niemand die Technik dahinter verstand. Bilder und Schriften anordnen, kein Problem – aber einen Server warten? Keine Chance. Honegger begann, sich um den Unterhalt der Infrastruktur zu kümmern. Irgendwann ging die Agentur ein, doch Honegger war bereits weiter. Sie hatte ihre Werkstatt eröffnet, um die technologischen Entwicklungen abseits der Grossstadthektik in eigenen Projekten künstlerisch und soziologisch zu erforschen – und zu vermitteln.
Gerade plant sie für das Fotomuseum Winterthur einen Workshop darüber, wie man sich digital entgiftet. Wie man Datenspuren wegputzt und nicht unnötig neue verursacht. Data-Detox heisst das. Zur Entgiftung gehört für sie auch, das Digitale hin und wieder digital sein zu lassen – und im Wald, der hier ganz nah ist, zu spazieren.