«Midterms» in den USA: Die Hoffnung von Millionen und trotzdem eine Farce
Immerhin: Das Repräsentantenhaus wird Donald Trump künftig Steine in den Weg legen können. Und ein paar interessante neue Persönlichkeiten wurden bei den Zwischenwahlen in den USA auch gewählt.
Um 22.21 Uhr steht sie dann endlich auf der Bühne: Alexandria Ocasio-Cortez, die 29-jährige Latina, die in einer ArbeiterInnenfamilie in der Bronx gross wurde, vor einem Jahr noch als Barkeeperin arbeitete und im Januar nun als jüngste Abgeordnete aller Zeiten in den US-Kongress einziehen wird. «Wir haben heute Geschichte geschrieben», ruft Ocasio-Cortez ins Mikrofon und demonstriert in den darauffolgenden Minuten, warum sie die Hoffnung von Millionen von US-AmerikanerInnen ist. Es ist ihre ganz persönliche Geschichte, die Ocasio-Cortez so glaubhaft mit einem politischen Programm verknüpft, das eben viel mehr als diese eine Lebensgeschichte ist.
Ein paar Hundert AnhängerInnen sind zur Wahlparty nach Queens, New York, gekommen, die meisten sind wie Ocasio-Cortez Mitglied der Democratic Socialists of America (DSA). Die Frau, auf die alle Handys gerichtet sind, spricht über institutionellen Rassismus, das Gesundheitssystem, ihren Grassroots-Aktivismus. Die Siegesrede nimmt Geschwindigkeit auf, als plötzlich die Nachricht aus Texas über die Bildschirme läuft: Beto O’Rourke, ebenso Teil des progressiven Flügels der Demokratischen Partei, hat das Rennen um den Senatssitz in Texas verloren. Das Publikum ist unruhig, Ocasio-Cortez stockt, aber nur ein, zwei Sekunden lang, dann hat sie wieder ihren eindringlichen Blick drauf. «Niederlagen wie diese bedeuten nicht, dass wir auf lange Sicht verloren haben», sagt sie. «Wir holen uns Texas, das ist nur eine Frage der Zeit.»
Siege hier, Niederlagen dort
Aus linker Perspektive wechselten sich an diesem Abend gute und schlechte Nachrichten ab. Zunächst lässt sich feststellen, dass sich das bewahrheitet hat, was die allermeisten ExpertInnen im Vorfeld prophezeit hatten: Im Repräsentantenhaus konnten die DemokratInnen zum ersten Mal seit 2010 wieder die Mehrheit gewinnen. Im Senat allerdings, und auch das wurde so erwartet, behalten die RepublikanerInnen die Oberhand. Der US-Kongress ist die kommenden zwei Jahre also geteilt, was für US-Präsident Donald Trump bedeutet, dass er weniger reibungslos regieren kann. Die beiden Parteien werden sich in Zukunft bei der Gesetzgebung wohl immer wieder gegenseitig blockieren.
Neben O’Rourke in Texas mussten sich auch zwei weitere HoffnungsträgerInnen der linken DemokratInnen geschlagen geben: Stacey Abrams, die die erste schwarze Gouverneurin in der Geschichte der USA werden wollte, verlor in Georgia gegen ihren erzkonservativen Kontrahenten Brian Kemp; in Florida unterlag Andrew Gillum dem Republikaner Ron DeSantis. Einen Lichtblick gab es im Sunshine State dennoch: Die WählerInnen stimmten für das sogenannte Amendment 4, eine Gesetzesinitiative, die es den derzeit 1,4 Millionen vorbestraften Floridians künftig erlaubt, wählen zu gehen. Symbolisch bedeutsame Erfolge verzeichneten die DemokratInnen in Colorado, wo Jared Polis nun an der Spitze des Staates steht, und zwar als erster offen homosexueller Gouverneur in den USA überhaupt; sowie in Kansas und New Mexico, wo mit Sharice Davids und Deb Haaland zwei Native Americans ins Repräsentantenhaus einziehen.
«Endlich die Feigheit ablegen»
Für die Democratic Socialists of America, die in den vergangenen zwei Jahren von 7000 auf über 50 000 Mitglieder gewachsen sind, hätte der Abend kaum besser laufen können. Zusammen mit Ocasio-Cortez werden auch Ilhan Omar (Minnesota) und Rashida Tlaib (Michigan) im Januar ins Repräsentantenhaus einziehen. Omar wird die erste Muslima, Tlaib die erste US-Palästinenserin in der Geschichte des US-Kongresses sein. Ausserdem gelang es einigen DSA-KandidatInnen, in die Parlamente der einzelnen Bundesstaaten gewählt zu werden, so zum Beispiel Julia Salazar in New York. Eine erwartete Niederlage nahm dagegen der Sozialist Zak Ringelstein in Maine hin.
Eine der zentralen Fragen ist es nun, was die zersplitterte Demokratische Partei aus diesen gemischten Ergebnissen macht. Es gibt einen moderaten Kern, zu dem die FraktionsführerInnen Chuck Schumer und Nancy Pelosi sowie einflussreiche Thinktanks und Bündnisse gehören. Und es gibt linke PolitikerInnen wie eben Ocasio-Cortez, Bernie Sanders – der ohne Probleme seinen Sitz im Senat bestätigen konnte – oder Ayanna Pressley, die für Massachusetts ins Repräsetantenhaus einziehen wird. Sie wollen die Partei nach links bewegen. «Die Demokraten werden in der Mitte keine grossen Wahlen gewinnen, sie müssen endlich ihre Feigheit ablegen», sagte die bekannte muslimische Politaktivistin Linda Sarsour dem Sender «Democracy Now!».
Deutlich wurde an diesem Abend erneut, dass das US-Wahlsystem auf zahlreichen Ebenen eine Farce ist. Für viele US-AmerikanerInnen bleibt es ein Hindernis, dass die Wahlen nicht an einem Sonntag oder Feiertag stattfinden. In mehreren Staaten kam es ausserdem zu massiven technischen Problemen, weshalb WählerInnen oft stundenlang warten mussten. Nicht wenige verliessen die Wahllokale, ohne ihre Stimme abgegeben zu haben. Am schwerwiegendsten ist der systematische WählerInnenausschluss, der meist auf bürokratischen Banalitäten beruht und überwiegend Nichtweisse betrifft.