Uno-Migrationspakt: Ein europäisches Gerücht
Quer über den Kontinent kämpft eine rechte Allianz gegen eine Vereinbarung der Vereinten Nationen. In der Schweiz haben sich auch die Bürgerlichen der Opposition angeschlossen. Über die Karriere einer Kampagne.
Martin Sellner schaut freundlich in die Kamera. «Der Uno-Migrationspakt besiegelt den Untergang der europäischen Völker», sagt der Wortführer der rechtsextremen Identitären Bewegung – und ruft für Deutschland, Österreich und die Schweiz zum Widerstand gegen die Vereinbarung auf. Das Video, das sich inzwischen fast 150 000 Personen angesehen haben, ist Teil eines von Sellner ausgerufenen «Info-Kriegs». Dass sich mit dem Pakt Ängste schüren lassen, hat sein Netzwerk schnell erkannt.
Im Juli hatten sich 191 Länder auf den Entwurf eines «Global Compact for Migration» geeinigt, der im Wesentlichen eine Diskussion über die Kontrolle von Migrationsbewegungen ermöglichen soll. Im Dezember soll der Pakt in Marrakesch feierlich angenommen werden. Während die USA und Ungarn von Anfang an abseitsstanden, wird nun auch anderswo die Opposition von rechts immer lauter: In Deutschland macht die AfD seit Wochen mit einer eigens eingerichteten Website mobil, begleitet von Beiträgen in Querfrontplattformen wie «Tichys Einblick». Und in Österreich hat es die FPÖ mithilfe parteinaher Blätter inzwischen geschafft, den Pakt zu sabotieren. Anfang November verkündete die Regierungskoalition «aus Angst vor Souveränitätsverlust» ihren Ausstieg. Länder wie Kroatien, Polen oder Dänemark könnten folgen.
Worte aus dem Nazijargon
In der Schweiz wird der Compact, den Uno-Botschafter Jürg Lauber mitverfasst hat, Mitte September zum Thema: Einen Tag bevor der Bundesrat über das Abkommen berät, lädt die SVP zur Pressekonferenz. Parteichef Albert Rösti warnt vor einer «Welt ohne Grenzen» und vor «vollständiger Migration»; Andreas Glarner gibt vor, sich vor einem «Umsiedlungsprogramm» zu fürchten. Die SVP fordert den Bundesrat auf, den Pakt «auf keinen Fall zu unterzeichnen». Anwesend ist auch eine Vertreterin des rechtsextremen «Compact»-Magazins. Ihr Auftritt verdeutlicht, wie völkische Sprache den Diskurs beeinflussen kann: Laut Medienberichten über die Pressekonferenz wütete die Frau in einer Wortmeldung über den Pakt, sprach von einer «geplanten Umvolkung». In seiner Antwort übernahm Glarner das Wort, das einst die Nazis geprägt hatten.
Die Kampagne gegen den Migrationspakt nimmt schnell Fahrt auf: ParlamentarierInnen der SVP reichen 22 Fragen und 7 Vorstösse zum Thema ein. Die Partei erhofft sich wohl, den Abstimmungskampf für ihre Antimenschenrechtsinitiative zu beeinflussen. Sie etabliert ein Framing, das rechtsextreme Gruppen wie die Pnos oder die Patrioten Schweiz ebenfalls verwenden: dass die Uno «globale Personenfreizügigkeit» und das «Recht auf Migration» einführen wolle. Anfang Oktober doppelt die «Basler Zeitung» nach. In einem Interview behauptet SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt, der Pakt «verherrlicht Migration». Die Journalistin, die das Gespräch führt, wechselt kurze Zeit später ins Sekretariat seiner Partei. In Zürich und Bern tauchen derweil Fahndungsplakate mit dem Konterfei von Uno-Botschafter Lauber auf, die den Identitären zugeschrieben werden. Und die rechtsnationale «Schweizerzeit» warnt alarmistisch vor dem «Ende der Demokratie».
Uneinigkeit im Bundeshaus
Das Ringen um den Uno-Migrationspakt ist ein Lehrstück über rechte Allianzen und ihre willigen HelferInnen. Zwar lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, wann und wo es seinen Anfang nahm. Bemerkenswert ist jedoch, wie schnell sich Falschmeldungen und Verschwörungstheorien von Extremistinnen und Rechtspopulisten quer durch Europa verbreiten – und Eingang in den politischen Diskurs finden. In der Schweiz schliessen sich nun auch die bürgerlichen Parteien der Kampagne an.
Am Freitag letzter Woche hat sich die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrats gegen den Pakt ausgesprochen. Geschlossen mit Nein stimmte neben der SVP auch die FDP, und auch CVPler schlossen sich dem Nein-Lager an. Am Dienstag hingegen empfahl die Aussenpolitische Kommission dem Bundesrat, den Compact anzunehmen. Nun wird das Geschäft in der Ständeratskommission verhandelt.
FDP-Ständerat Andrea Caroni, der Mitglied der SPK ist, will den Migrationspakt nicht unterstützen, solange er den grossen Nutzen nicht sehe. «Man müsste mir beweisen, warum die Schweiz unterschreiben soll – nicht umgekehrt.» Um die Aussenwirkung des Landes macht sich der Freisinnige dabei keine Sorgen: «Dass andere Länder mitmachen, ist für sich allein noch kein Grund, es auch zu tun.»
Für SP-Nationalrat Cédric Wermuth ist die Rolle der bürgerlichen Parteien «das eigentliche Drama» im Gerangel um den Pakt. «Es ist beinahe schon beeindruckend, wie sich die Exponenten dieser Parteien von den Fakten verabschiedet und ihre Werte auf dem Altar des Opportunismus geopfert haben, nur um im kommenden Jahr ein paar rechte Wähler zu gewinnen», so der Aargauer. Ein Vorwurf, den FDP-Nationalrätin Doris Fiala weit von sich weist. «Ich habe kein Interesse daran, Steigbügelhalterin der nationalkonservativen Kräfte zu sein», so die Zürcher FDP-Nationalrätin. Den Pakt selbst hält Fiala, die im Europarat die Kommission für Migration und Flüchtlingswesen präsidiert, für «realpolitisch nicht umsetzbar». Er schüre Hoffnungen, die sich nicht umsetzen liessen.
«Im Interesse der Schweiz»
Der Global Compact listet 23 Ziele für eine «sichere, geordnete und reguläre Migration» auf. Es ist ein umfassendes Paket, das viele Themen anspricht, aber letztlich symbolischen Charakter hat: Die InitiantInnen wollen legale Wege für «Arbeitsmigranten» schaffen, Menschenhandel unterbinden, MigrantInnen vor Gewalt und Diskriminierung schützen, sie schliesslich ins Sozialsystem integrieren. Zugleich sollen Grenzen besser gesichert, persönliche Daten registriert und Rückschaffungen erleichtert werden. Geflüchtete stehen dabei bewusst nicht im Fokus, weil für sie die Flüchtlingskonvention gelte.
Von der Verbriefung des «Rechts auf Migration» oder «globaler Niederlassungsfreiheit», wie es von rechts nun heisst, ist in dem 32-seitigen Papier nirgendwo die Rede. Darin steht hingegen, dass Menschenrechte auch für MigrantInnen gelten, was für die SVP wohl der eigentliche Skandal ist. Bindend sind die Massnahmen aber sowieso nicht: Der Compact sei kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern eine Zielvereinbarung, sagt der Berner Staatsrechtler Walter Kälin. «Die Länder können nicht sanktioniert werden, wenn sie sich nicht an die Bestimmungen halten.»
Stattdessen wird die «nationale Souveränität» betont. Der Pakt bekräftigt das «Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen», heisst es. Hinzu kommt, dass die Schweiz gemäss dem Aussendepartement die Empfehlungen sowieso bereits umsetzt. Nur bei der Ausschaffungshaft für Minderjährige besteht eine Abweichung. Eine Massnahme übrigens, die nicht nur der Uno-Kinderschutzkonvention widerspricht, sondern kürzlich selbst von der SVP kritisiert wurde. Entscheidend sei, dass der Pakt einen Rahmen für Diskussionen etabliere, meint Völkerrechtler Kälin. So sollen die VertreterInnen der Länder alle vier Jahre zum Austausch zusammenkommen. «Weil kein Staat die Herausforderungen rund um das Thema Migration allein lösen kann, ist dies vor allem auch im Interesse der Schweiz.»
Kritik am Compact kommt derweil auch von links: weil er zu wenig weit reiche und zudem von falschen Prämissen ausgehe. Cédric Wermuth begrüsst zwar, dass die Staaten die Notwendigkeit legaler und deshalb weniger gefährlicher Migrationswege anerkennen würden. Letztlich gehe es aber darum, Migration als «Win-win-Situation» für alle darzustellen – eine Sichtweise, die im Sinne der Industriestaaten sei und damit die künstliche Trennung zwischen Wirtschaftsmigration und Flucht aufrechterhalte. «Auch dass der Pakt so tut, als müssten alle Länder gleich viel Verantwortung übernehmen, ist angesichts der politischen Kräfteverhältnisse und wirtschaftlichen Ressourcen absurd», so der SP-Nationalrat.
Auch Amanda Ioset, die Geschäftsführerin von Solidarité sans frontières, findet, dass der Pakt lediglich ein Instrument zum Migrationsmanagement sei. Sie weist darauf hin, dass beispielsweise die Genfer Flüchtlingskonvention Verfolgten das Recht gibt, illegal Grenzen zu überschreiten. Heute werde dieser einst geltende Massstab immer weiter eingeschränkt. «Im Pakt ist lediglich von Migration die Rede, die entweder regulär sein oder gar nicht stattfinden soll», bedauert sie.