Kommentar zum Uno-Migrationspakt: Fertig «Ich zuerst»!

Nr. 48 –

Das klare Abstimmungsergebnis vom Sonntag spricht für, nicht gegen den Uno-Migrationspakt.

Da hatte eine überwältigende Mehrheit der Stimmbevölkerung ein deutliches Zeichen gesetzt. Statt nationale Egoismen in der Verfassung zu verankern, bekannte sie sich zur Stärkung internationaler Normen – und sprach den Institutionen ihr Vertrauen aus. Ihr klares Nein richtete sich nicht zuletzt gegen eine Haltung, die auch in der Schweiz zurzeit in Mode ist: das rücksichtslose Mantra eines «Schweiz zuerst».

Doch kaum war das Resultat verkündet, blies die SVP erneut zum Angriff. Um von der krachenden Niederlage abzulenken, rückte sie wieder den Migrationspakt der Uno ins Zentrum. Dass nicht wie geplant allein der Bundesrat, sondern auch das Parlament den Pakt verhandelt, reicht der Rechtspartei dabei nicht; sie will ihn gleich vors Volk bringen.

Der seit Wochen schwelende Streit um die Abmachung zeigt den Erfolg einer beispiellosen Kampagne. In Einklang mit einem europaweiten Netzwerk Rechtsextremer und mit williger Unterstützung der Bürgerlichen verbreitete man so lange Falschmeldungen und Halbwahrheiten, bis der Bundesrat einknickte. Wer in der erhitzten Debatte Argumente vorbrachte, kam gegen die Propaganda nicht an. Wenn Mitte Dezember in Marokko das erste internationale Dokument zum Umgang mit globalen Wanderbewegungen angenommen wird, glänzt die Schweiz, deren DiplomatInnen die Resolution massgeblich prägten, durch Abwesenheit.

Entstanden ist der Pakt aus einer Erklärung, auf die sich alle Uno-Mitglieder 2016 geeinigt hatten – auch als Reaktion auf das Versagen in den Jahren zuvor, als die Uno aus Geldmangel die Versorgung Geflüchteter drastisch zurückfuhr. Im Grunde hält er – basierend auf bereits bestehenden Abkommen – zweierlei fest: dass Migration in einer globalisierten Welt eine Tatsache ist. Und dass die Menschenrechte auch für die rund 260 Millionen Menschen gelten, die weltweit ausserhalb ihres Heimatlands leben und nicht dem Schutz der Flüchtlingskonvention unterstehen.

Dass solche Selbstverständlichkeiten zu Kontroversen werden, ist mehr als beschämend. Dabei liesse sich am Pakt so einiges kritisieren: dass er zu wenig weit geht, die Ursachen von Migration kaum thematisiert; dass er weder das tödliche Grenzregime infrage stellt noch die globale Visumslotterie verhandelt; dass er Migration schliesslich vor allem dann begrüsst, wenn sie dem Zielland einen Nutzen bringt. Zu hoffen bleibt, dass die Abmachung die Staaten zur Kooperation ermuntert.

Die rasende Dynamik der Gegenkampagne stürzt die fortschrittlichen Kräfte ins Dilemma. Auffallend still ist es dabei bei der politischen Linken. Statt die Nachteile der Vereinbarung offensiv zu kritisieren, versucht sie, die Brandstifter zu beschwichtigen. Diese sind an einer Diskussion aber ohnehin nicht interessiert; schliesslich wollen sie mit dem Heraufbeschwören von Schreckensszenarien nur ihre eigene Basis mobilisieren.

In diesem Kontext erscheint das Gebaren der FDP erst recht als zynisch. Gemeinsam mit Teilen der CVP haben die Freisinnigen in ihrem grenzenlosen Opportunismus geholfen, den Uno-Pakt zu torpedieren. Dass ihr Handeln einzig innenpolitischen Zwecken dient, illustriert niemand so gut wie FDP-Bundesrat Ignazio Cassis, der die Regierungsarbeit für Parteipolitik benutzt. Während die SVP das Landes- vor das Völkerrecht setzen wollte, liefert er für den nationalen Egoismus seine eigene Interpretation: «Aussenpolitik ist Innenpolitik.» Man wäre froh, es würde bei den Bundesratswahlen vom kommenden Mittwoch um seinen Sitz gehen.

Noch ist es für die Bürgerlichen nicht zu spät, zur Besinnung zu kommen und im Parlament für den Pakt zu votieren. Denn nicht zuletzt ist der Angriff auf den Uno-Migrationspakt ein Vorgeschmack auf das, was in Zukunft vermehrt droht: Attacken auf internationale Abmachungen. Dabei hat eine grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung mehrfach festgehalten, wie sie sich den Umgang mit der Welt vorstellt. 2012 etwa, als 75 Prozent eine Auns-Initiative ablehnten, die wollte, dass alle Staatsverträge vors Volk kommen. Oder eben am letzten Sonntag.