Grossbritannien und der Brexit: Mays Deal oder kein Deal?

Nr. 47 –

Ist der geregelte EU-Austritt zum Scheitern verurteilt? Hinter Premierministerin Theresa May liegt die bisher schwerste Woche ihrer Amtszeit. Und auch für die linke Opposition bleibt der Brexit ein heisses Eisen.

Ihre turbulente Amtszeit hat Theresa May zumindest gelehrt, wie man Krisen durchsteht. Auch ihre bislang schwerste Woche hat sie vorerst überstanden. Trotz einer offenen Rebellion der Brexit-FanatikerInnen in ihrer Partei steht sie noch immer an der Spitze der Regierung: angeschlagen, aber entschlossen, ihren Brexit-Plan durchzuziehen. Sie warnte ihre KritikerInnen, dass ihr Abgang die Verhandlungen nicht einfacher machen würde: «Er würde nichts an der parlamentarischen Arithmetik ändern.»

Das trifft zu, aber damit legte May den Finger auf das Problem, das auch ihr bald zum Verhängnis werden könnte: Sie wird grosse Mühe haben, ihren Deal im Dezember durchs Parlament zu bringen. Denn Mays Mehrheit im Unterhaus ist hauchdünn. Wenn die zehn Parlamentsmitglieder der rechtskonservativen Democratic Unionist Party sowie die Dutzenden Brexit-AnhängerInnen in der Tory-Partei wie erwartet gegen den Vertragsentwurf stimmen, dann wird die Vorlage scheitern.

Allerdings hält die Premierministerin ein schlagendes Argument in den Händen: Die einzigen zwei Optionen seien ihr Deal oder kein Deal, mahnt sie. Lautete ihr Mantra bis vor einigen Monaten noch, dass ein vertragsloser Brexit einem schlechten Abkommen vorzuziehen sei, sagt May jetzt: Unterstützt meinen Vertragsentwurf, obwohl er nicht ideal ist, oder riskiert das Chaos eines «No Deal». Insbesondere die Labour-Fraktion ist unter Druck, May zur Hilfe zu kommen, um im kommenden März ein Fiasko zu verhindern. Manche Abgeordneten aus EU-skeptischen Landstrichen haben angedeutet, dass sie einen solchen Schritt erwägen, um nicht als Brexit-SaboteurInnen dazustehen.

Kein Mitspracherecht

Das wäre jedoch ein wahltaktisches Risiko: Einer unbeliebten konservativen Premierministerin und ihrem noch unbeliebteren Brexit-Plan zum Erfolg zu verhelfen, zählt wohl kaum zu den Kernaufgaben einer Oppositionspartei. Hinzu kommt, dass der Vertrag aus linker Perspektive problematisch ist: Grossbritannien müsste Gesetze von der EU übernehmen, ohne irgendeine demokratische Mitsprache zu haben; die Personenfreizügigkeit würde enden; und das Land müsste erhebliche Restriktionen bezüglich staatlicher Subventionen akzeptieren.

Insbesondere letzterer Punkt ist entscheidend: Damit sich die britische Wirtschaft keinen Vorteil gegenüber den EU-Ländern verschaffen kann, verpflichtet sich Grossbritannien im Vertragsentwurf, die EU-Regeln zu staatlichen Beihilfen zu übernehmen – auch wenn sich diese in Zukunft ändern sollten. Die «Financial Times» schreibt, dass dies «mitunter die schärfsten Einschränkungen für ein Land ausserhalb des Binnenmarkts» darstelle. Die progressive Wirtschaftspolitik von Labour-Chef Jeremy Corbyn – die unter anderem umfassende Verstaatlichungsprojekte ins Auge fasst – könnte unter diesen Umständen kaum umgesetzt werden.

Alternativer Brexit von links

Die Gefahr, dass Grossbritannien im Fall einer gescheiterten Abstimmung ohne Nachfolgevertrag aus der EU kracht, besteht. Aber entgegen Mays Beteuerungen ist es keineswegs das einzig mögliche Resultat. Zwar insistieren EU-PolitikerInnen derzeit darauf, dass der Vertrag nicht nachverhandelt werden könne, aber wenn es in ihrem Interesse liegt, ist die Union durchaus zu Kompromissen bereit. Sollte es zu Neuwahlen kommen und eine frische Regierung die Macht übernehmen, ist denkbar, dass ihr die EU zusätzlich Zeit gewährt, um einen «No Deal» abzuwenden.

Im Hinblick auf ein solches Szenario will Corbyn diese Woche seinen eigenen, alternativen Brexit-Plan darlegen. Worauf dieser hinausläuft, ist in Umrissen bekannt: eine Zollunion mit der EU, Sicherung der Rechte am Arbeitsplatz sowie der Umweltstandards und eine enge Anbindung an den Binnenmarkt. Bleibt die Frage, wie erfolgreich Labour in den Verhandlungen sein würde. Die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, dass die EU flink manövriert und ihre Interessen knallhart verteidigt. Mit einem Wahlsieg der Labour-Partei würden für Corbyn die Schwierigkeiten wohl erst beginnen.